Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
«Manifest Destiny». Im Zeichen der langanhaltenden Expansion nach Westen verband sich das religiöse Sendungsbewußtsein der amerikanischen Kolonialzeit mit der Überzeugung von der kulturellen Überlegenheit der germanischen und namentlich der angelsächsischen Rasse. Der Westen und die «frontier» wurden zu einem amerikanischen Mythos. Er stützte das optimistische Selbstvertrauen, das die Vereinigten Staaten schon in ihrer Gründungszeit bewiesen hatten und das sie brauchten, um auch künftig mit schweren inneren und äußeren Krisen fertig zu werden.
Grenzen, die sich durch Eroberung und Besiedlung in nicht oder nur dünn bewohnte Gebiete verschoben, gab es in der Geschichte viele. Vielfach war es die weltliche oder geistliche Herrschaft, die den Gang der Expansion bestimmte, so in der deutschen Ostkolonisation des Mittelalters. Bei der russischen Eroberung Sibiriens, einem mehrere Jahrhunderte währenden Vorgang, war es der autokratische Staat, der die Erschließung des riesigen Gebietes in seine Regie nahm, sobald die ersten Pelzhändler und Kaufleute weiter nach Osten vorgedrungen waren. Die französische Eroberung von Quebec hatte eine Ansiedlung von Bauern aus Frankreich zur Folge, die aber von dort aus nicht weiterwanderten, so daß die Grenze statisch blieb. In Lateinamerika trug die frühe Eroberung einen staatlichen, kirchlichen und feudalen Stempel. Parallelen zur nordamerikanischen «frontier» gab es in Südamerika am ehesten im Argentinien des späten 19. Jahrhunderts, wo europäische Einwanderer seit 1880 Patagonien zu besiedeln begannen und die Indios auf ähnlich brutale Weise in den Untergang getrieben wurden, wie es in den Vereinigten Staaten geschah. Doch überwog in Argentinien der Landerwerb durch Großgrundbesitzer und nicht, wie in den USA, durch einzelne Siedler oder Siedlerfamilien.
Eine Landnahme durch freie Siedler war gleichwohl kein amerikanischer Sonderfall. In Südafrika drangen seit dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts die aus Holland eingewanderten Buren von der 1652 gegründeten niederländischen Kapkolonie aus ins Landesinnere vor und ließen sich dort nieder. Doch neben der burischen Wanderung gab es noch eine andere und zahlenmäßig weit stärkere, die von Stämmen der Bantus wie der Zulus, die von den Buren bekämpft, aber nicht dauerhaft besiegt wurden. Zudem gab es keinen Zustrom weiterer weißer Einwanderer, die von den Buren hätten assimiliert werden können. Der britischen Annexion der Kapkolonie im Jahre 1806 folgte drei Jahrzehnte später, ausgelöst durch die Abschaffung der Sklaverei in den britischen Kolonien seit 1833, der Exodus von 14.000 Buren, der sogenannte «Große Treck», in die im Norden und Osten angrenzenden Gebiete. Dort gründeten die burischen Siedler zunächst die Republik Natal, und nachdem London dieses Gebiet zur britischen Kolonie erklärt hatte, die Republiken Oranje und Transvaal. 1852 erkannten die Briten die Unabhängigkeit von Transvaal, 1854 die des Oranje-Freistaats an. Sie sanktionierten damit etwas, was sie im Grundsatz mißbilligten: die zum System erhobene Diskriminierung der nichtweißen Bevölkerung durch die Buren.
In Australien ging die weiße Besiedlung von den «Squatters», den kapitalkräftigen Züchtern von Wollschafen, aus. Ihr Pionier war Captain John MacArthur, ein Offizier der ersten und lange Zeit einzigen Sträflingskolonie und damit ein Angehöriger derjenigen Gruppe, der die britische Regierung ein faktisches Außenhandelsmonopol für australische Güter zugestanden hatte. Es war Australiens Hauptexportware, die Wolle, die nach dem Urteil des deutsch-amerikanischen Historikers Dietrich Gerhard aus einer Niederlassung von Sträflingen eine Kolonie machte: eine Entwicklung, die durch die britische Einwanderungspolitik seit den 1830er Jahren nachhaltig unterstützt wurde.
1850 erhielten die Kolonien New South Wales, Victoria, Tasmania und South Australia eine fast unbeschränkte Autonomie mitsamt einer parlamentarischen Verfassung. Im Jahr darauf lösten Goldfunde die zweite große Einwanderungswelle aus; sie führte wie in Amerika zur weitgehenden Verdrängung und Unterdrückung der Ureinwohner, die hier «Aborigines» genannt wurden. Da die meisten Neuankömmlinge kein Gold fanden oder nicht über das Kapital verfügten, das für den Untertagebau erforderlich war, suchten sie eine Beschäftigung in der Landwirtschaft oder in der Industrie. Die australische Wüste aber erwies sich im Unterschied zur «Great
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