Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Jahre 1850 bis 1856 waren beiderseits des Nordatlantiks eine Zeit des rasanten Wirtschaftsaufschwungs, der Expansion der industriellen Fabrikation und des Bergbaus, des Schienenverkehrs, der telegrafischen Nachrichtenübermittlung und der Dampfschiffahrt, der Aktiengesellschaften, des Bank- und Börsenwesens. Durch die Entdeckung reicher Gold- und Silbervorkommen in den Gebirgen Kaliforniens, Mexikos und Australiens war die Geldzirkulation nach 1850 in weltweitem Maßstab schlagartig gestiegen, so daß es keine Übertreibung ist, von einem «Globalisierungsschub» um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu sprechen. Der Hochkonjunktur folgte, den Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaft entsprechend, ein zyklischer Einbruch in Gestalt der Weltwirtschaftskrise von 1857 bis 1859. Doch auch in diesen Jahren ging die wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwälzung unvermindert weiter. Ab 1859 begann sich die Konjunktur wieder zu erholen; in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre setzte ein neuer «Boom» ein.
Seine wissenschaftliche Rechtfertigung erfuhr der Materialismus unter anderem durch das 1855 erschienene Buch «Kraft und Stoff» des Darmstädter Arztes Ludwig Büchner, eines Bruders des Dichters Georg Büchner. Eine andere post- und antiidealistische Denkströmung war der Positivismus, wie ihn der französische Philosoph Auguste Comte, einer der Gründerväter der Soziologie, in seinem zwischen 1851 und 1854 erschienenen «Système de politique positive» vertrat. Das vierbändige Werk stellte die Geschichte der menschlichen Erkenntnis als einen am Fortschritt ausgerichteten Prozeß dar, der drei Stadien durchlief: Dem theologischen oder fiktiven folgte ein metaphysisches oder abstraktes Stadium, das schließlich in der Moderne vom positiven oder wissenschaftlichen Stadium abgelöst wurde. Fünf Jahre nach der Veröffentlichung des letzten Bandes von Comtes «System», 1859, legte Charles Darwin sein Hauptwerk «Die Entstehung der Arten» vor, in dem der englische Naturforscher die Evolution der Lebewesen, ihren Kampf ums Dasein und ihre natürliche Selektion beschrieb. Im Jahr darauf begann die Veröffentlichung des magnum opus des englischen Philosophen Herbert Spencer, des «Systems der synthetischen Philosophie», das ebenfalls den Gedanken der Evolution in den Mittelpunkt einer wissenschaftlichen Welterklärung rückte.
Politisch am folgenreichsten aber war eine andere Art der Idealismuskritik: jene, die Karl Marx 1859 im Vorwort zu seiner «Kritik der politischen Ökonomie», einer Vorstudie zum 1867 erschienenen ersten Band des «Kapitals», zusammenfaßte. Die Kernsätze lauteten: «In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch zu den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche der sozialen Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.»
Die Basis-Überbau-Lehre war das Grundaxiom des historischen Materialismus, wie Marx ihn verstand. Aus seiner Interpretation der Geschichte bezog der Autor die Gewißheit, mit der er die Klassengesellschaft der Gegenwart deutete und die klassenlose Gesellschaft der Zukunft zumindest andeutete: «Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im
Weitere Kostenlose Bücher