Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Türkei vom Juni 1854 im September von Österreich besetzt wurden), entschloß sich auch König Friedrich Wilhelm IV. endgültig für die dritte Option: eine Haltung, in der er dadurch bestärkt wurde, daß Österreich es unterließ, Preußen vor Abschluß des Vertrages mit Großbritannien und Frankreich am 2. Dezember 1854 zu konsultieren. Im Februar 1855 brachte Bismarck Österreich im Bundestag eine schwere diplomatische Niederlage bei: Anstatt der Mobilmachung, wie Wien sie verlangt hatte, beschloß der Bundestag auf Antrag Preußens die Bereitschaft zur Abwehr drohender Gefahr in jeder Richtung, was die Proklamation der bewaffneten Neutralität bedeutete. Dadurch war fürs erste sichergestellt, daß beide deutsche Großmächte sich nicht am Krimkrieg beteiligten.
Gemessen an seiner Dauer und der Zahl der beteiligten Soldaten, war der Krimkrieg einer der verlustreichsten Kriege der neueren und neuesten Geschichte. Der deutsche Historiker Winfried Baumgart gibt die Gesamtzahl der Toten mit 240.000 an, unter Abziehung der «natürlichen» Todesfälle mit etwa einer halben Million. Die Zahl der Soldaten, die an Krankheiten, Hunger und Kälte starben, übertraf die der im Kampf gefallenen um ein Vielfaches. Der amerikanische Historiker Robert B. Edgerton bezeichnet den Krimkrieg als «ein Musterbeispiel für schlechte militärische Führung, bürokratischen Pfusch und unzureichende medizinische Fürsorge». Diesem harschen Urteil hätte, zumindest was den letzten Punkt betrifft, gewiß auch Florence Nightingale zugestimmt, jene englische Krankenpflegerin, die sich auf der Krim um rasche und wirksame Hilfe für die Verwundeten in Lazaretten bemühte und durch ihr unermüdliches Engagement zu einer Wegbereiterin der modernen Kriegskrankenpflege wurde.
Der Krimkrieg war zunächst ein klassischer Kabinettskrieg: Regierungen schickten Truppen in einen Krieg, der zwar mit höchsten Staatsinteressen begründet wurde, aber nicht der unmittelbaren Verteidigung des Vaterlandes galt. Um so wichtiger war die ideologische Kriegführung, an der sich die europäischen Liberalen und die ihnen nahestehenden Zeitungen aktiv beteiligten, weil es auf der fernen Krim um die säkulare Auseinandersetzung zwischen westlicher Freiheit und östlicher Unterdrückung zu gehen schien. Wären auch Preußen und Österreich in den Krieg eingetreten, hätte er sich zum großen europäischen Krieg ausgeweitet und vermutlich manche Züge jenes Befreiungskampfes gegen die autokratische Vormacht der Reaktion angenommen, auf den die Linke 1848 gedrängt hatte. Tatsächlich wurde Europa nur dadurch zum Kriegsschauplatz, daß britische Kriegsschiffe den Hafen von Hangö und die Festungsinsel Sveaborg (auf finnisch Suomilinnen) vor den Toren von Helsinki bombardierten, einige Küstenplätze am Bottnischen Meerbusen niederbrannten und eine französische Flotte bei der Bombardierung und Eroberung der Festung Bomarsund auf den (zum russischen Großfürstentum Finnland gehörenden) Aaland-Inseln unterstützten.
Die skandinavische und die preußische Presse kommentierten das Vorgehen der Alliierten in der Ostsee äußerst kritisch, hatten damit aber auf die öffentliche Meinung Großbritanniens weniger Einfluß als die zahlreichen Kriegsberichterstatter auf der Krim, die die Leser ihrer Zeitungen offen über die Leiden der Soldaten im Stellungskrieg von Sewastopol und die krassen Mängel beim Nachschub und der Pflege der Verwundeten informierten. In Frankreich hingegen verhinderte die Zensur die Verbreitung von Nachrichten von der Front, die der Regierung unerwünscht waren. Als erster «Medienkrieg» war der Krimkrieg ein durchaus modernes Ereignis. Modern waren auch der massive Einsatz von Artillerie und der kurz zuvor erfundenen Langstreckengewehre auf Seiten der britischen und französischen Truppen. Es war zu einem guten Teil dieser Vorsprung an technischer Modernität, der den Westmächten half, den Nachteil der langen Verbindungslinien zur See auszugleichen. Der russischen Seite wiederum half die räumliche Nähe des Kriegsschauplatzes nur wenig, weil das Schienennetz des Zarenreiches bei weitem nicht ausreichte, um Truppen und Material so rasch an die Front zu befördern, wie das die Lage erfordert hätte. Die Hilfe amerikanischer Ingenieure (ein Teil der Unterstützung, die die Vereinigten Staaten Rußland gewährten, um England nicht noch stärker werden zu lassen) kam zu spät, um diesen Mangel noch rechtzeitig zu beheben.
Wäre es nach Lord
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