Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Palmerston, dem Premierminister der Jahre 1855 bis 1858, gegangen, hätte der Krieg noch länger gedauert, zur Eroberung von Kronstadt und St. Petersburg geführt und die Russen nachhaltiger geschwächt, als es Ende 1855 tatsächlich der Fall war. Napoleon III. jedoch neigte, nachdem die Russen am 28. November 1855, mehrere Wochen nach dem Fall von Sewastopol, die nordostanatolische Festungsstadt Kars erobert hatten, zu einem baldigen Friedensschluß. Der entscheidende Anstoß für die Beendigung des Krieges kam aus Wien. Am 28. Dezember 1855 verlangte die Regierung des Habsburgerreiches von Rußland in ultimativer Form die bedingungslose Zustimmung zu einem Katalog von Friedensbedingungen, deren wichtigster Punkt die Neutralisierung des Schwarzen Meeres war. Am 16. Januar 1856 stimmte Zar Alexander II., der Sohn und Nachfolger des im Februar 1855 verstorbenen Nikolaus I., in Absprache mit seinem Kronrat diesen Forderungen uneingeschränkt zu. Hätte er sich anders verhalten, wäre nicht nur der Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Österreich, sondern höchstwahrscheinlich der Kriegseintritt des Habsburgerreiches, womöglich auch des Deutschen Bundes und Preußens die Folge gewesen. Da Rußland eine derart erweiterte Allianz militärisch kaum bezwingen konnte und überdies am Rande des finanziellen Zusammenbruches stand, konnte es sich eine Ablehnung des Ultimatums gar nicht mehr leisten.
Am 25. Februar 1856 begannen die Friedensverhandlungen in Paris. Die Entscheidung für diesen Konferenzort war ein Tribut an die Macht, deren Truppen durch die Erstürmung des Malakow-Kurgan am 8. September des Vorjahres die Russen zur Aufgabe von Sewastopol gezwungen hatten, und ein persönlicher Triumph für den Kaiser der Franzosen. Am 30. März 1856 wurde der Friede von Paris unterzeichnet. Rußland trat die Donaumündung mitsamt einem kleinen Teil des südlichen Bessarabien an das Fürstentum Moldau ab und verlor damit die Kontrolle über die Donauschiffahrt, die für frei erklärt wurde. Gleichzeitig verzichtete St. Petersburg auf die Rolle des Protektors der Donaufürstentümer, deren Status später geregelt werden sollte. Die Schutzherrschaft über die Christen des Osmanischen Reiches ging an die Gesamtheit der europäischen Großmächte über; die Türkei sicherte ihrerseits die Gleichberechtigung von Christen und Muslimen zu. Die für Rußland schmerzhafteste Bestimmung betraf das Schwarze Meer. Es wurde neutralisiert: Rußland und die Türkei durften dort keine Kriegsflotten unterhalten und keine Waffenplätze anlegen. Die Einfahrt in den Bosporus und die Dardanellen blieb Kriegsschiffen aller Nationen verboten. Die Westmächte gaben Sewastopol nach Zerstörung der Hafenbauten und Befestigungen an Rußland, Rußland gab seinerseits Kars an das Osmanische Reich zurück. Das Zarenreich verpflichtete sich zudem, auf den Aaland-Inseln keine Befestigungen anzulegen.
Rußland war der eindeutige Verlierer des Krimkrieges, blieb aber in seinem Großmachtstatus unangefochten. Das lag auch daran, daß sich das Zarenreich auf einem Nebenschauplatz des Krieges, der ostsibirischen Halbinsel Kamtschatka, glänzend gegenüber Angriffen der britisch-französischen Seestreitkräfte behauptet hatte. Unmittelbar nach dem Ende des Krimkrieges begann Rußland mit dem Ausbau seiner Herrschaft über den Kaukasus und danach, in den 1860er Jahren, mit der Eroberung Zentralasiens. Die siegreiche Großmacht Großbritannien mußte sich damit abfinden, daß es auch weiterhin den historischen Gegensatz zwischen «Bär» und «Walfisch» gab. Der Schwerpunkt der britisch-russischen Rivalität verlagerte sich lediglich weiter ostwärts, vom Osmanischen Reich nach Persien, Afghanistan und China.
Der anderen Siegermacht, Frankreich, war es nicht gelungen, ein selbständiges Polen wiederherzustellen und so die Karte Europas teilweise neu zu zeichnen. Gleichwohl war das Prestige Napoleons III. nie höher als zur Zeit des Pariser Friedens: Der Ausgang des Krimkrieges erlaubte es dem Kaiser, sich nunmehr als Schiedsrichter Europas zu fühlen. Das Königreich Sardinien-Piemont hatte sich am Krieg in der Hoffnung beteiligt, die Unterstützung Frankreichs und Englands für die Einigung Italiens unter seiner Führung zu erlangen. Diesem Ziel kam es 1856 zur großen Enttäuschung seines Ministerpräsidenten, des Grafen Camillo di Cavour, der auf der Pariser Konferenz erstmals ins Rampenlicht der europäischen Öffentlichkeit getreten war, keinen Schritt
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