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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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des Krimkrieges, Napoleon III., fühlte sich durch den Ruhm, den seine Armee an ihre Fahnen geheftet hatte, ermutigt, seine Herrschaft auch weiterhin durch militärische Triumphe zu stabilisieren. Das war ein riskantes Vorhaben, doch der zweite Kaiser aus dem Hause Bonaparte war mehr noch als der erste ein Hasardeur und daher nicht gegen die Versuchung gefeit, den Gewinn wieder zu verspielen, der ihm gerade zugefallen war. Von den Staatsmännern des viktorianischen England war ein derartiges Abenteurertum nicht zu erwarten. Großbritannien wandte sich nach 1856 vom europäischen Kontinent weitgehend ab, um sich fortan verstärkt der Festigung und dem Ausbau des Empire widmen zu können. Für die außenpolitische Neuorientierung gab es auch Gründe, die außerhalb Europas lagen: Es waren vor allem Entwicklungen in Asien, die schon kurz nach der Beendigung des Krimkrieges die ganze Aufmerksamkeit der Regierung in London in Anspruch nehmen sollten.[ 2 ]
    Der Westen in Asien: Indien, China, Japan
    Anfang Juni 1853, zu der Zeit, als Europa gerade besorgt die Zuspitzung des russisch-türkischen Konflikts um die Stellung der Christen im Osmanischen Reich verfolgte, brachte Karl Marx in seinem Londoner Exil einen Artikel zu Papier, der Ende desselben Monats unter der Überschrift «Die britische Herrschaft in Indien» in der «New-York Daily Tribune» erschien. Weite Passagen lasen sich zunächst als Anklage an die Adresse der Kolonialmacht Großbritannien, deren Steuereinnehmer und Soldaten die indische Dorfgemeinschaft und ihr Hausgewerbe, den Handwebstuhl, das Spinnrad und den handbetriebenen Ackerbau rücksichtslos zerschlagen hätten.
    Dann aber änderte sich die Tonart des Aufsatzes. Großbritannien hatte Marx zufolge durch sein brutales Eingreifen die größte, ja einzige soziale Revolution hervorgerufen, die Asien je gesehen hatte. «Sosehr es nun auch dem menschlichen Empfinden widerstreben mag, Zeuge zu sein, wie Myriaden betriebsamer patriarchalischer und harmloser Organisationen zerrüttet und ihre Einheiten aufgelöst werden, hineingeschleudert in ein Meer von Leiden, wie zu gleicher Zeit ihre einzelnen Mitglieder ihrer alten Kulturformen und ihrer ererbten Existenzmittel verlustig gehen, so dürfen wir doch darüber nicht vergessen, daß diese idyllischen Dorfgemeinschaften, so harmlos sie auch aussehen mögen, seit jeher die feste Grundlage des orientalischen Despotismus gebildet haben … Wir dürfen nicht die barbarische Selbstsucht vergessen, die, an einem elenden Stückchen Land klebend, ruhig dem Untergang ganzer Reiche, der Verübung unsäglicher Grausamkeiten, der Niedermetzelung der Einwohnerschaft großer Städte zusah, ohne sich darüber mehr Gedanken zu machen als über Naturereignisse … Wir dürfen nicht vergessen, daß dieses menschenunwürdige, stagnierende Dahinvegetieren, diese passive Art zu leben, auf der anderen Seite ihre Ergänzung fanden in der Beschwörung wilder, zielloser, hemmungsloser Kräfte der Zerstörung, und in Hindustan selbst aus dem Mord einen religiösen Ritus machten.»
    Die egoistischen Motive, von denen sich die britischen Kolonialherren leiten ließen, standen für Marx außer Zweifel. «Gewiß war schnödester Eigennutz die einzige Triebfeder Englands, als es eine soziale Revolution in Indien auslöste, und die Art, wie es seine Interessen durchsetzte, war stupid. Aber nicht das ist hier die Frage. Die Frage ist, ob die Menschheit ihre Bestimmung erfüllen kann ohne radikale Revolutionierung der sozialen Verhältnisse in Asien. Wenn nicht, so war England, welche Verbrechen es auch begangen haben mag, doch das unbewußte Werkzeug der Geschichte, indem es diese Revolution zuwege brachte.»
    Als Marx sein janusköpfiges Porträt des britischen Kolonialregimes in Indien zeichnete, standen etwa zwei Drittel des Subkontinents unter der Herrschaft der Britischen Ostindienkompanie, während ein Drittel von indischen Fürsten regiert wurde, die England seiner Oberhoheit unterstellt hatte. Großbritannien profitierte davon, daß sich das Reich der islamischen, ursprünglich mongolischen Großmogulen im 18. Jahrhundert in einen lockeren Staatenbund aufgelöst hatte, der nicht mehr fähig war, für ein ausreichendes Maß an öffentlicher Ordnung zu sorgen: Die Briten waren die ersten Herrscher, die in dem riesigen Gebiet eine funktionierende Verwaltung, eine weithin einheitliche Grundsteuerveranlagung und eine wirksame Gerichtsbarkeit durchsetzen konnten.
    Unter Lord William

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