Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
der Dichter Fjodor Michailowitsch Dostojewski, der 1849 wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Zirkel utopischer Sozialisten zuerst zum Tode verurteilt und dann zu vier Jahren Verbannung nach Sibirien begnadigt worden war. Jedes große Volk, schrieb er 1877, müsse glauben, daß es allein zur Rettung der Welt und darum der Führung aller anderen Völker berufen sei. «Nur die eines solchen Glaubens fähige Nation hat das Recht auf ein höheres Leben.» Um jene Zeit war noch offen, welche Zukunft den widerstrebenden Richtungen beschieden sein würde. Sicher war nur, daß im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kein europäisches Land innerlich so zerrissen war wie Rußland. Durch die Reformen Alexanders II. hatte es sich in manchen Bereichen modernisiert. Aber «westlicher» war es dadurch kaum geworden.[ 8 ]
Sezession: Der amerikanische Bürgerkrieg
1861 war nicht nur das Jahr des Thronwechsels in Preußen, der Aufhebung der Leibeigenschaft in Rußland und der Proklamation des Königreiches Italien. Es war auch das erste Jahr des amerikanischen Bürgerkrieges. Seine unmittelbare Vorgeschichte begann 1854 mit dem Kansas-Nebraska-Act, der den Missouri-Kompromiß von 1820 aufkündigte, wonach die Sklaverei, abgesehen von dem neuen Staat Missouri selbst, nördlich von dessen Südgrenze verboten war. Der «Philosophie» hinter diesem Kompromiß, der Aufrechterhaltung der Parität von freien Staaten und Sklavenstaaten, hatten die USA letztmals 1850 Tribut gezollt, als Kalifornien in die Union aufgenommen wurde, in den anderen von Mexiko abgetrennten Territorien aber das Prinzip der «popular sovereignty», der freien Entscheidung über Zulassung oder Verbot der Sklaverei, gelten sollte.
Das Kansas-Nebraska-Gesetz ging auf den demokratischen Senator Stephen A. Douglas aus Illinois zurück, zu dessen Anliegen der Bau einer transkontinentalen Eisenbahnlinie durch das Gebiet von Nebraska gehörte. Wurde die Strecke gebaut, war die Aufnahme Nebraskas in die Union nur noch eine Frage der Zeit. Nebraska lag nördlich der Linie des Missouri-Kompromisses, wäre also ein freier Staat geworden, und eben deswegen gab es in den Südstaaten massive Vorbehalte gegenüber dem Projekt einer nördlichen Eisenbahnverbindung zwischen Atlantik und Pazifik. Um diesen Widerstand zu überwinden, schlug Douglas vor, in Nebraska entsprechend der südstaatlichen Doktrin von der «popular sovereignty» zu verfahren. Als dieses Zugeständnis dem Süden noch nicht reichte, fügte Douglas seinem Gesetzentwurf eine Klausel hinzu, die den Missouri-Kompromiß förmlich aufhob. Außerdem wurde das riesige Gebiet von Nebraska in zwei neue Territorien, Nebraska im Norden und Kansas im Süden, aufgeteilt. Damit zeichnete sich die Möglichkeit ab, daß sich aus einem der beiden Territorien, dem weiter südlich gelegenen, ein Sklavenstaat entwickeln konnte. In der revidierten Fassung wurde das Gesetz vom Kongreß angenommen, wobei der Süden geschlossen, die Demokraten des Nordens teils für, teils gegen die Vorlage stimmten. Mit der Unterzeichnung durch Präsident Franklin Pierce trat das Gesetz im Mai 1854 in Kraft.
Der Kansas-Nebraska-Act bewirkte eine Revolutionierung des amerikanischen Parteiensystems. Die in den 1830er Jahren aus der Opposition gegen Präsident Andrew Jackson erwachsene Whig Party war gespalten in Gegner und Befürworter der Sklaverei und verschwand 1855 von der politischen Bühne. Die Whigs der Südstaaten gingen zu den Demokraten über, während die Gegner von Douglas’ Gesetz aus den Nordstaaten sich mit gleichgesinnten Demokraten zu einer neuen, zunächst ganz auf den Norden beschränkten Partei, der Republican Party, zusammenschlossen. Bei den Teilwahlen zum Kongreß im November 1854 erreichten sie zusammen mit den Sklavereigegnern aus der antikatholischen «Know-Nothing Party» genügend viele Sitze, um zur beherrschenden Kraft im Repräsentantenhaus aufzusteigen.
Dramatisch spitzte sich der Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Sklaverei im neuen, 1854 entstandenen Territorium von Kansas zu. Bei den ersten Wahlen zu einer gesetzgebenden Körperschaft stimmten im Frühjahr 1855 Tausende von bewaffneten Bürgern Missouris mit, die nur aus diesem Anlaß nach Kansas gekommen waren und durch ihre Stimmabgabe dafür sorgten, daß es in der Legislative eine Mehrheit für die Sklaverei gab. Die entrüsteten Abolitionisten wählten daraufhin eine eigene verfassunggebende Versammlung und einen Gouverneur und beantragten beim
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