Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
öffentlichen Bewußtsein die Überzeugung durchsetzt, daß sie sich auf dem Weg zur völligen Auslöschung befindet. Oder ihre Befürworter werden die Sklaverei so weit vorantreiben, daß sie in allen Staaten, in den alten ebenso wie in den neuen, in denen des Nordens ebenso wie in denen des Südens, gleichermaßen gesetzmäßig ist.»
Lincoln hielt die Sklaverei, wie er im siebenten und letzten Streitgespräch mit Douglas am 15. Oktober 1860 in Alton erklärte, für ein «moralisches, soziales und politisches übel» (a moral, social, and political wrong). Aber weder er noch die Republikanische Partei forderten ein Verbot der Sklaverei in der gesamten Union. Lincoln dachte um 1858 noch nicht daran, den Schwarzen in Illinois und anderen freien Staaten das Wahlrecht und damit die vollen Bürgerrechte zu geben. Auch für die Zukunft schloß er die volle Gleichberechtigung und Gleichstellung von Schwarzen und Weißen angesichts ihrer natürlichen Ungleichheit aus. Sein Ziel war defensiv: Das Übel der Sklaverei sollte sich nicht weiter ausbreiten, die freie Arbeit freier Menschen auf freiem Boden nicht durch die Schaffung neuer Sklavenstaaten behindert werden. Lincoln wollte die Einheit der Union erhalten, aber er war nicht bereit, jeden Preis dafür zu bezahlen, daß der Friede zwischen Nord und Süd bewahrt wurde. Moralismus und Fatalismus, Prinzipientreue und Pragmatismus waren bei Lincoln schwer voreinander zu trennen: Er stand für das eine wie für das andere und verdankte seinen Aufstieg als Politiker vor allem wohl dem verbreiteten Eindruck, daß er mit allen seinen Widersprüchen dem Geist Amerikas besser gerecht wurde als seine Gegner.
In den Präsidentschaftswahlkampf von 1860 zog die Republikanische Partei mit Lincoln als Kandidaten und einem Programm, das nicht nur (in sehr maßvollen Worten) den Wünschen der Sklavereigegner, sondern auch dem Interesse der Industrie an hohen Schutzzöllen und dem Verlangen ärmerer Siedler nach billigem Land Rechnung trug. Lincoln schnitt von allen Bewerbern am besten ab, erhielt aber nur eine relative Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen, nämlich 39,8 Prozent. Stephen Douglas, Kandidat der Demokraten der Nordstaaten, kam auf 29,5, der Südstaatendemokrat John C. Breckinridge auf 18,1, der in der Sklavereifrage «neutrale» ehemalige Whig John Bell auf 12,6 Prozent. Im Wahlmännergremium aber verfügte Lincoln dank seiner starken Bastionen im Norden über die absolute Mehrheit. So wurde der Mann zum 16. Präsidenten der USA gewählt, der aus der Sicht des Südens wie kein zweiter Politiker die Abolition, die Abschaffung der Sklaverei, verkörperte.
Der erste Südstaat, der diese Herausforderung beantwortete, war South Carolina: Am 20. Dezember 1860 beschloß ein Sonderkonvent den Austritt aus der Union. Es folgten Mississippi, Florida, Alabama, Georgia, Louisiana und Texas. Im Februar 1861 trafen sich Vertreter der sieben Staaten, die sich bis dahin von der Union losgesagt hatten, in Montgomery, der Hauptstadt von Alabama, wo sie einen neuen Staat, die Confederate States of America, ins Leben riefen. Bundeseigentum wurde beschlagnahmt, über die Bundesfestung Fort Sumter auf einer Insel im Hafen von Charleston, South Carolina, eine Blockade verhängt. Das alles geschah noch in den letzten Wochen der Amtszeit von Präsident James Buchanan, einem Demokraten aus Pennsylvania, der militärische Gewalt gegenüber dem Süden tunlichst vermeiden wollte.
Am 4. März 1861 trat Lincoln sein Amt an. Er ließ South Carolina wissen, daß er Schiffe mit Versorgungsgütern nach Fort Sumter entsandt habe, Truppen und Munition aber nur einsetzen werde, wenn die Expedition auf Widerstand stoßen sollte. Daraufhin ordnete die Regierung der Konföderation die Eroberung von Fort Sumter an. Die Bundestruppen weigerten sich, die Festung zu übergeben, mußten sich aber schließlich am 14. April 1861, nach einem dreitägigen Bombardement, der Übermacht der Konföderierten beugen. Der Bürgerkrieg hatte begonnen. In den ersten fünf Wochen nach dem offenen Ausbruch der Feindseligkeiten am 12. April schlossen sich vier weitere Südstaaten, Virginia, Arkansas, Tennessee und North Carolina, der Konföderation an. Vier weitere Sklavenstaaten, Maryland, Delaware, Kentucky und Missouri, konnten nur unter massivem Druck aus Washington davon abgehalten werden, den gleichen Schritt zu tun.
Über die Frage, ob der Bürgerkrieg vermeidbar gewesen wäre, ist viel gestritten worden. Tatsächlich
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