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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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grenzt es fast an ein Wunder, daß es achteinhalb Jahrzehnte lang gelungen war, zwei so unterschiedliche Gesellschaften wie die der Nord- und Südstaaten unter dem gemeinsamen Dach eines Staates zusammenzuhalten. Die Westexpansion der USA half einerseits, die Spannungen zwischen einer freien Bürgergesellschaft und einer Sklavenhaltergesellschaft in den Hintergrund zu drängen. Andererseits führte gerade die Ausdehnung mit innerer Notwendigkeit in jenen Streit um die politische Zukunft der neuen Gebiete, der die zweite Hälfte der 1850er Jahre prägte und sich mit Formelkompromissen nicht mehr überbrücken ließ.
    Die Plantagenbesitzer des Südens fühlten sich im Einklang mit der göttlichen und natürlichen Ordnung, wenn sie, die Angehörigen der vermeintlich überlegenen weißen Rasse, die, wie sie glaubten, rassisch minderwertigen Schwarzen als Sklaven für sich arbeiten ließen. Daß die Sklavenarbeit weniger produktiv gewesen sei als die freie Lohnarbeit, wird von neueren Wirtschaftshistorikern wie Robert W. Fogel bestritten. Sie betonen vielmehr, daß die Plantagenbesitzer der Südstaaten eine hochentwickelte Form von Kapitalismus repräsentiert hätten. Für ihre Selbsteinschätzung aber war das soziale Prestige, das der Besitz vieler Sklaven verbürgte, nicht minder wichtig als der wirtschaftliche Erfolg. Die Gesellschaft des Südens hatte altertümliche, aristokratische Vorstellungen von Ehre, die sich stark von denen des industriell viel weiter entwickelten, egalitären Nordens abhoben. Um die Verteidigung dieser Ehre ging es auch bei der Sezession von 1860: Die weiße Oberschicht des Südens wollte sich nicht vom Norden einen «way of life» vorschreiben lassen, der mit den eigenen kulturellen Normen nicht zu vereinbaren war.
    Die Motive der Antisklavereibewegung des Nordens waren vielfältig. Vermutlich trugen zwei gescheiterte Sklavenaufstände, 1822 in South Carolina und 1831 in Virginia, dazu bei, daß sich seit den dreißiger Jahren immer mehr evangelische Christen unter Berufung auf die Botschaft Jesu Christi zu Fürsprechern der sofortigen Freilassung aller Sklaven machten: ein Faktum, das den katholischen Klerus und die meisten Katholiken veranlaßte, sich ihrerseits demonstrativ auf die Seite der «peculiar institution», der südstaatlichen Sklaverei, zu stellen. Auch aus weltlichen Quellen speiste sich der Protest gegen den Skandal der Sklaverei: Wenn die Unabhängigkeitserklärung behauptete, daß alle Menschen frei geboren seien, dann mußte das, was immer Jefferson, Washington und andere Gründerväter sich dabei gedacht haben mochten, auch für Menschen schwarzer Hautfarbe gelten. Bücher wie die Autobiographie des nach New York geflohenen Sklaven Frederick Douglass und Harriet Beecher Stowes Roman «Uncle Tom’s Cabin» aus den Jahren 1845 beziehungsweise 1852 förderten die moralische Empörung über die Fortdauer eines Zustands, der den Idealen von 1776 kraß widersprach.
    Doch es ging dem Norden nicht nur um Ideale, sondern auch um Interessen. Wenn im neugewonnenen Westen Sklavenarbeit zugelassen wurde, verminderte das die Chancen von Industrie und Landwirtschaft, freie Lohnarbeiter zu beschäftigen. Zwischen Arbeitgebern frei wählen zu können und sie gegebenenfalls zur Zahlung höherer Löhne zu bewegen, war eine Möglichkeit, die nur freien Arbeitern offen stand. Wo freie Lohnarbeit und Sklavenarbeit miteinander konkurrierten, drohte der ersteren immer ein Lohndumping durch die letztere. Schon deswegen mußte auch den Arbeitern des Nordens an der Abschaffung der Sklaverei gelegen sein. Der Süden lebte vom Export seiner landwirtschaftlichen Produkte, namentlich von Baumwolle («King Cotton»), und war darum zutiefst vom Vorteil des Freihandels überzeugt. Die Industriellen des Nordens hingegen wollten sich gegen Importe aus Europa und vor allem aus Großbritannien abschirmen und forderten deshalb hohe Schutzzölle, was der Süden bis 1861 zu verhindern vermochte. Auch dieser handelspolitische Gegensatz spielte bei den zunehmenden Spannungen zwischen Nord und Süd eine Rolle.
    Was die Bevölkerungszahlen angeht, war die Konföderation der Union weit unterlegen. In den 23 Staaten des Nordens lebten um 1861 rund 22 Millionen Menschen, in den elf Südstaaten etwa 9 Millionen, von denen mindestens 3,5 Millionen schwarze Sklaven waren. Der Norden konnte zunächst nur Bundestruppen in einer Stärke von 12.000 Mann gegen den Süden einsetzen. Beide Seiten mußten auf einzelstaatliche

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