Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Forderung nach «equal rights» auf ihr Banner schrieben.[ 9 ]
Revolution von oben: Das Ende des deutschen Dualismus
Der amerikanische Bürgerkrieg wurde auch in Europa mit angespannter Aufmerksamkeit verfolgt, wobei die Konservativen meist für den Süden, Liberale und Linke für die Union Partei ergriffen. Nirgendwo waren die Sympathien für die Befreiung der Sklaven so stark wie in der Arbeiterschaft. Aus ihren Reihen kamen die meisten Teilnehmer jener Massenkundgebung in der Londoner St. James Hall, die im März 1863 Präsident Lincoln ihrer Solidarität versicherte, die Aufhebung der Sklaverei forderte und damit Front machte gegen die südstaatenfreundliche Politik von Premierminister Palmerston. Am 28. September 1864 wurde in London die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA), die Erste Internationale, ein lockerer Zusammenschluß von Arbeiterparteien und Gewerkschaften aus Europa und den USA, gegründet. Dem von ihr gewählten provisorischen Zentralkomitee gehörte als Korrespondierender Sekretär für Deutschland Karl Marx an. Er verfaßte neben einer Inauguraladresse und den Provisorischen Statuten auch eine Botschaft, in der die IAA Lincoln zu seiner Wiederwahl beglückwünschte. Darin hieß es, die Arbeiter Europas betrachteten es «als ein Wahrzeichen der Epoche, daß Abraham Lincoln, dem starksinnigen, eisernen Sohn der Arbeiterklasse, das Los zugefallen ist, sein Vaterland durch den beispiellosen Kampf für die Erlösung einer geknechteten Rasse und für die Umgestaltung der sozialen Welt hindurchzuführen».
Für Marx war die Erste Internationale auch ein Instrument in der Auseinandersetzung mit einer anderen Arbeiterorganisation: dem von Ferdinand Lassalle im Mai 1863 in Leipzig gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV). Lassalle vertrat eine Linie, die Marx und Engels mißbilligten: Er konzentrierte seine Agitation als Präsident der ADAV auf das allgemeine gleiche Wahlrecht und die Schaffung von Produktivgenossenschaften der Arbeiter mit Hilfe des Staates; er verhandelte sogar insgeheim, was die beiden sozialistischen Emigranten in London und Manchester nicht wußten, mit dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, dem es höchst gelegen kam, daß Lassalle mit seinen Wahlrechtsparolen die in dieser Frage gespaltene liberale Fortschrittspartei in Verlegenheit brachte.
Marx und Engels setzten hingegen nach wie vor auf die Selbstbefreiung der Arbeiterklasse durch eine proletarische Revolution, die nur von einer international organisierten Bewegung zum Erfolg geführt werden konnte. Für sie war, wie es Marx in der «Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation» ausdrückte, die Eroberung der politischen Macht «jetzt die große Pflicht der Arbeiterklasse» und, wie es in den Provisorischen Statuten der IAA hieß, die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse der «große Endzweck …, dem jede politische Bewegung als Mittel unterzuordnen ist». In den Aktionen des staatsgläubigen Lassalle und seiner Anhänger sahen Marx und Engels daher vor allem eines: eine Abweichung vom rechten Weg, die der Sache des internationalen Proletariats zumindest auf längere Sicht schaden mußte.
Die Gründung der IAA erlebte Lassalle nicht mehr: Er starb am 31. August 1864 an der tödlichen Verwundung, die ihm in einem Duell zugefügt worden war. Die deutsche Arbeiterbewegung aber blieb noch auf viele Jahre hinaus gespalten: Den preußenfreundlich und kleindeutsch gesinnten Lassalleanern im ADAV, der seit 1867 von Johann Baptist von Schweitzer geführt wurde, stand eine großdeutsche, mit den bürgerlichen Demokraten kooperierende Richtung gegenüber, die sich im Juni 1863 in Frankfurt zum Verband deutscher Arbeitervereine zusammengeschlossen hatte. Zu ihren aktiven Mitgliedern gehörte der aus Köln stammende Drechsler August Bebel, ein führendes Mitglied des Leipziger Arbeiterbildungsvereines. Es war diese zweite Richtung, auf die Marx und Engels durch die Vermittlung von Wilhelm Liebknecht, einem Teilnehmer des zweiten badischen Aufstands vom September 1848, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zunehmend Einfluß gewannen.
Die Entstehung einer selbständigen Arbeiterbewegung in Deutschland in Gestalt des ADAV bedeutete für den bürgerlichen Liberalismus eine ernste Herausforderung. Das liberale Bürgertum betrachtete sich noch immer, wie einst 1789 der «Tiers-état», als den «allgemeinen Stand», in den die Arbeiter durch vermehrte Bildung hineinwachsen
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