Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
österreichische Projekt einer mitteleuropäischen Zollunion im Zeichen von Schutzzöllen. Damit war den 1853 vereinbarten, auf Grund von preußischem Widerstand aufgeschobenen Verhandlungen über eine Angleichung der Tarife des Deutschen Zollvereins und Österreichs ein Riegel vorgeschoben. Die Mitgliedstaaten des Zollvereins mußten sich folglich entscheiden: zwischen Freihandel und Schutzzoll, Preußen und Österreich, West und Ost.
Bismarck trieb, nachdem er im September 1862 das Amt des Ministerpräsidenten übernommen hatte, den Zollkonflikt mit Österreich weiter voran und die schutzzöllnerischen Regierungen von Bayern, Württemberg, Hessen-Darmstadt und Nassau in die Defensive. In übereinstimmung mit dem Deutschen Nationalverein, dem 1858 gegründeten Kongreß deutscher Volkswirte und den Regierungen von Sachsen und Baden beharrte er auf der Übernahme des preußisch-französischen Handelsvertrags durch den Zollverein. Es bedurfte der Kündigung des Zollvereinsvertrags durch Preußen im Dezember 1863 und ein halbes Jahr später eines preußisch-sächsischen Vertrags über die Erneuerung des Zollvereins, um den Widerstand der schutzzöllnerischen Mittelstaaten zu brechen. Im Oktober 1864 verständigten sich die bisherigen Mitgliedstaaten auf einen neuen, auf zwölf Jahre befristeten Zollvereinsvertrag. 1865 schloß der Zollverein einen Handelsvertrag mit Österreich. Im Bereich der Wirtschaftspolitik war der Kampf um die Führung Deutschlands entschieden: zugunsten Preußens, gegen Österreich.
Die preußischen Industriellen hatten Bismarcks Handelspolitik ganz überwiegend unterstützt. Das Verhältnis zwischen Regierung und Unternehmerschaft gestaltete sich infolgedessen ausgesprochen freundlich, was die politischen Vertreter des Bürgertums, die Liberalen, beunruhigen mußte: Ihren Kampf gegen das budgetlose, mithin verfassungswidrige Regime des Ministerpräsidenten führten sie ohne festen Rückhalt bei den wirtschaftlichen Führungsgruppen. Nach dem Ende des Verfassungskonflikts zogen die liberalen «Preußischen Jahrbücher» ein nüchternes Fazit: «Die Volkswirtschaft hat sich zu Bismarck nie in einem prinzipiellen Gegensatz befunden wie die praktische Politik und staatsrechtliche Doktrin, da sie seiner Festigkeit den bedeutendsten handelspolitischen Fortschritt der Nation in den letzten Jahrzehnten, den Abschluß des französisch-preußischen Handelsvertrages und die Wiedererneuerung des Zollvereins auf der Grundlage eines freisinnigen Tarifs, verdankte.»
Das weithin noch agrarische Österreich war im Handelskonflikt mit dem industriell fortgeschrittenen Preußen von Anfang an in der schwächeren Position gewesen. Ende 1863 gab Wien zu erkennen, daß ihm an einer Zuspitzung des Streits mit Berlin nicht gelegen war. Der Grund dieser Zurückhaltung war ein außenpolitischer: Seit dem Frühjahr zeichnete sich ein neuer Konflikt um Schleswig-Holstein ab, und daraus erwuchs die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen beiden deutschen Großmächten. Am 30. März 1863 hatte König Friedrich VII. von Dänemark in einem Patent die Verbindlichkeit einer Klausel im Zweiten Londoner Protokoll vom Mai 1852 bestritten: Sie betraf die Anerkennung der Sonderstellung der Herzogtümer Schleswig und Holstein und bildete das dänische Gegenstück zum Verzicht des Herzogs Christian August von Augustenburg auf die Erbfolge für Dänemark und seine Nebenländer.
Am 9. Juli 1863 forderte der Bundestag die Außerkraftsetzung dieses Patents und beschloß, als Dänemark dies ablehnte, am 1. Oktober die Bundesexekution gegen Holstein, das heißt gegen den König von Dänemark in seiner Eigenschaft als Herzog von Holstein und Mitglied des Deutschen Bundes. Kopenhagen antwortete mit einer weiteren Herausforderung: Am 13. November 1863 legte die Regierung, ein von der nationalistischen Partei der Eiderdänen gebildetes Kabinett, dem Reichstag ein neues Staatsgrundgesetz vor, das die Einverleibung Schleswigs verfügte. Zwei Tage später starb Friedrich VII. Seine Nachfolge trat Prinz Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg als Christian IX. an. Bereits am 18. November unterzeichnete er die neue Gesamtstaatsverfassung. Damit entzog er dem Zweiten Londoner Protokoll die Grundlage just in dem Augenblick, wo er die Erbfolgeklausel dieses völkerrechtlichen Vertrags in Anspruch nahm.
Am gleichen Tag übertrug Herzog Christian August von Augustenburg seine Rechte auf die Erbfolge an seinen ältesten
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