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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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nach 1865 im Hinblick auf die Sklaverei keine Reue; sie entwickelte vielmehr einen Kult der «lost cause», wozu die romantische Verklärung des Lebens im «antebellum South» im allgemeinen und des Verhältnisses der «masters» zu ihren «slaves» im besonderen gehörte. Das Ressentiment gegen die «Yankees» wurde verstärkt durch zugereiste Geschäftemacher aus dem Norden, die sogenannten «carpetbaggers» (Leute mit Reisetaschen), die sich in gesetzgebende Versammlungen und Regierungen des Südens oder als Abgeordnete in den Kongress wählen ließen, um so zu Einfluß und Vermögen zu gelangen. Zur Speerspitze des Widerstands gegen den allgegenwärtigen Norden und die von ihm repräsentierte Ordnung entwickelte sich der in der Endphase des Bürgerkrieges gegründete Ku Klux Klan, der zahllose, im Dunkel der Nacht begangene Terrorakte, bis hin zu Lynchmorden an Schwarzen, verübte. Das Bürgerrechtsgesetz von 1875, das Rassendiskriminierung im Alltag, unter anderem in Wirtshäusern und Vergnügungsstätten, verbot, trug dazu bei, daß der Klan ab Mitte der siebziger Jahre für die Dauer einiger Jahrzehnte von der Bildfläche verschwand. 1915 sollte er, mit erweiterter Stoßrichtung gegen Schwarze, Juden, Katholiken und Internationalisten, wiedererstehen.
    Im Jahre 1877 endete die achtjährige, von verbreiteter Korruption gekennzeichnete Amtszeit des Präsidenten Ulysses Grant und damit auch die Ära der «Reconstruction». Unter seinem Nachfolger, dem Republikaner Rutherford B. Hayes, der trotz eines deutlichen Rückstands bei den Wählerstimmen mit Hilfe der Südstaatendemokraten ins Amt gelangte, wurden die Bundestruppen aus dem Gebiet der ehemaligen Konföderation abgezogen und, wo das noch nicht der Fall war, die Regierungen der Südstaaten wieder ganz in die Hände dort ansässiger Weißer gelegt. Die soziale und politische Diskriminierung der Schwarzen wurde in der Folgezeit wieder ganz offen betrieben. Nachdem der Supreme Court 1883 das Bürgerrechtsgesetz von 1875 für verfassungswidrig erklärt hatte, verabschiedeten die Südstaaten die sogenannten «Jim-Crow-Gesetze», die der Rassentrennung an Schulen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Restaurants und Vergnügungsstätten eine gesetzliche Grundlage gaben. Gleichzeitig wurde das Wahlrecht der Schwarzen wieder eingeschränkt und seine Ausübung behindert. «Der Norden gewann den Krieg und verlor den Frieden, wenn man unter Gewinnung des Friedens die rechtliche Gleichstellung der freigelassenen Sklaven, ihr Mitwirken als gleichberechtigte Bürger bei Wahlen und eine Bodenreform zu ihren Gunsten versteht»: In diesem Verdikt faßt Willi Paul Adams die Entwicklung der ersten drei Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg zutreffend zusammen.
    Das Gros der ehemaligen Sklaven verzichtete auf unmittelbare politische Gegenwehr gegen die Entrechtung. Unter dem Einfluß von Booker T. Washington, einem als Sklaven geborenen Pädagogen, wandten sich viele statt dessen verstärkt der eigenen Ausbildung an schwarzen Schulen und Colleges zu, um so aus eigener Kraft in der Gesellschaft aufsteigen zu können. Die Minderheit, der dies zu wenig war, schloß sich unter Führung des in Harvard promovierten schwarzen Geschichtsprofessors William E. B. Du Bois, gemeinsam mit weißen Bürgerrechtlern 1909 in der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) zusammen, die fortan dem Kampf um die Gleichberechtigung der Schwarzen die Richtung wies.
    Die Gesellschaft des Südens unterschied sich mithin auch nach dem Ende des Bürgerkriegs wesentlich von der des Nordens, aber sie war nicht mehr die des «antebellum South». Die Zahl der selbständigen Farmer ging zurück; die der Pächter nahm zu. Insgesamt verlor die Landwirtschaft an Bedeutung zugunsten neuer Industrien, obenan der Textil- und Tabak-, in Alabama auch der Eisen- und später Stahlindustrie. Der Umfang des Eisenbahnnetzes verdoppelte sich zwischen 1880 und 1890. Im Zuge der Industrialisierung wuchs die weiße Unterschicht, während ein erheblicher Teil der schwarzen in den Norden abwanderte. Die Mobilität war eine der Errungenschaften von 1865, die der «neue Süden» den ehemaligen Sklaven nicht wieder nehmen konnte. Die Gleichberechtigung der Amerikaner aller Hautfarben, wie sie die Verfassungsänderungen der Jahre 1865 bis 1870 proklamierten, blieb ein uneingelöstes Versprechen, aber eines, auf das sich schwarze und weiße Bürgerrechtler berufen konnten, als sie zu Beginn des neuen Jahrhunderts die

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