Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
rechten Flügel zur Folge: In Schleswig-Holstein bot sich nun erstmals eine Chance, Preußen militärisch zu entlasten und einen wichtigen Schritt in Richtung der deutschen Einheit zu tun. Die liberale Berliner «National-Zeitung», das Sprachrohr der «Rechten», brachte diese Position am 11. August 1864 auf die knappe Formel: «Daß unser Land eine Kaserne sein soll und Schleswig-Holstein ein friedlicher Meierhof, das ist uns zu ausschließend, ist eine zu ungleiche Verteilung von Genuß und Plage.»
Aus dieser Sicht der Dinge war nicht nur ein militärischer, sondern auch der vollständige Anschluß Schleswig-Holsteins an Preußen ein Beitrag zur Einheit Deutschlands. Mehr noch: Wenn es richtig war, daß die nationale Einigung die militärische Überlastung Preußens mindern und die bürgerlichen Kräfte stärken würde, dann sprach auch alles für die Schlußfolgerung der «National-Zeitung» vom 12. August 1864: «Jeder Fortschritt … in der Gewinnung der notwendigen deutschen Macht ist zugleich ein Fortschritt im freiheitlichen Leben.» Die bisherige Parole «Diesem Ministerium keinen Groschen» war unter solchen Voraussetzungen nicht mehr durchzuhalten. Vielmehr mußte auch eine konservative oder «reaktionäre» Regierung wie die Bismarcks unterstützt werden, wenn sie tat, was die Liberalen seit langem forderten. Die Demokraten hingegen sahen auch nach dem Sieg über Dänemark nicht den geringsten Grund, dem «Konfliktministerium» entgegenzukommen. Ihr Organ, die Berliner «Volkszeitung», die den Kreisen um Schulze-Delitzsch nahestand, wies am 16. August die neuen Prioritäten der «National-Zeitung» mit den Worten zurück: «Deutschlands Einheit wird nur durch Deutschlands Freiheit möglich werden.»
Die schleswig-holsteinische Frage war durch den Wiener Frieden nicht gelöst worden, sondern nur in ein neues Stadium getreten. Das Kondominium der beiden deutschen Großmächte erwies sich als so konfliktträchtig, daß es darüber im Frühjahr 1865 zum Krieg zu kommen drohte. Die Mittelstaaten und die deutsche Nationalbewegung verlangten weiterhin ein Schleswig-Holstein unter dem Augustenburger, während Bismarck seinen bisherigen Forderungen an den Erbprinzen noch neue hinzufügte: Friedrich sollte in die volle Militärhoheit Preußens, den wirtschaftlichen und verkehrsmäßigen Anschluß an den Hohenzollernstaat und Gebietsabtretungen, namentlich an den Mündungen des geplanten Nord-Ostsee-Kanals, einwilligen. Österreich antwortete auf diese Herausforderung, indem es am 9. April 1865 im Bundestag einem Antrag der Mittelstaaten zustimmte, der beide Großmächte aufforderte, den Augustenburger in seine Rechte einzusetzen.
Als sich König Wilhelm, unterstützt von Kriegsminister von Roon und Generalstabschef von Moltke, daraufhin für eine Annexion Schleswig-Holsteins einsetzte, schien der Ausbruch eines Krieges unmittelbar bevorzustehen. Am 21. Juli erging ein preußisches Ultimatum an Wien. Doch am Ende setzten sich auf beiden Seiten die kompromißwilligen Kräfte durch, denen damals auch Bismarck zuzurechnen war. In langwierigen Verhandlungen, die von Ende Juli bis Mitte August in Bad Gastein stattfanden, verständigte er sich mit Österreich auf eine Teilung der Verwaltung in den Herzogtümern: Holstein fiel Österreich, Schleswig Preußen zu. Kiel sollte ein Bundeshafen werden, Preußen jedoch Verwaltung und Polizei im Hafen übernehmen sowie Befestigungen und eine Marinestation einrichten dürfen.
Ebenso wie der Wiener Friede war auch die Gasteiner Konvention vom 14. August 1865 (das Ereignis, dem Bismarck die Erhebung in den Grafenstand verdankte) ein Provisorium. Doch der preußische Ministerpräsident hielt den Zeitpunkt für einen Krieg mit Österreich noch nicht für gekommen. Manches spricht dafür, daß er nach dem Sieg über Dänemark bereit war, sich mit einer preußischen Vorherrschaft über die nördlich des Mains gelegenen Teile Deutschlands zu begnügen. Mit einem derartigen «Großpreußen» hätte sich, entsprechende Entschädigungen in Oberitalien vorausgesetzt, Österreich unter Umständen abfinden können, nicht jedoch die deutsche Nationalbewegung. Schon deshalb hatten die vieldiskutierten «dualistischen» Verständigungsversuche der Jahre 1864/65 niemals eine Chance, auf längere Sicht befriedend zu wirken.
Das Ergebnis der Gasteiner Verhandlungen vertiefte die Kluft im preußischen Liberalismus. Die Fortschrittspartei, die aus den Wahlen im Oktober 1863 gestärkt
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