Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
hervorgegangen war, zerfiel zunehmend in zwei verfeindete Flügel: Den Anhängern einer unbedingten Opposition, die den Vorrang der Freiheit vor der Einheit betonten und der Sache des Augustenburgers verpflichtet blieben, stand eine nationale, zur bedingten Zusammenarbeit mit Bismarck bereite Minderheit gegenüber, die von der Einheit zur Freiheit zu gelangen hoffte und die Entstehung eines neuen Mittelstaates in Schleswig-Holstein ablehnte. Am deutschen Abgeordnetentag, der am 1. Oktober 1865 in Frankfurt zusammentrat und ganz von der augustenburgischen «Partei» beherrscht wurde, nahmen aus Preußen nur einige Vertreter der Linken teil. Zwei prominente Parlamentarier des rechten Fortschrittsflügels, der Jurist Karl Twesten und der Historiker Theodor Mommsen, schickten dem Präsidenten der Versammlung scharf formulierte Absagen in Form offener Briefe. Eine ähnliche Spaltung vollzog sich um dieselbe Zeit im Deutschen Nationalverein. Die Mehrheit lehnte jede Zusammenarbeit mit dem gegen Parlament und Verfassung regierenden Bismarck ab; die propreußische Minderheit blieb auf nord- und mitteldeutsche Klein- und Mittelstaaten beschränkt.
Die Empörung über die Politik Bismarcks gab den demokratischen Kräften im übrigen Deutschland Auftrieb. «Vorort» der demokratischen Bewegung war Württemberg, wo die Volkspartei um Karl Mayer und Ludwig Pfau über einen starken Rückhalt bei Handwerkern und Bauern verfügte. 1864/65 begannen sich die Demokraten auch auf gesamtdeutscher Ebene zu organisieren: Auf Betreiben des Kunsthistorikers Ludwig Eckardt aus Baden und des Autors des vielgelesenen materialistischen Buches «Kraft und Stoff», Ludwig Büchner, wurde im September 1865 in Darmstadt die Demokratische Volkspartei gegründet. Die neue Partei lehnte sowohl eine preußische wie eine österreichische Spitze für Deutschland ab und sprach sich für eine föderalistische Verbindung aller deutschen Stämme und Staaten aus, wozu natürlich auch das deutschsprachige Österreich gezählt wurde.
Gezielt wurde von Anfang an die entstehende Arbeiterbewegung umworben – beim lassalleanischen, kleindeutsch gesinnten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein ohne, beim großdeutschen Verband Deutscher Arbeitervereine um den Herausgeber der «Neuen Frankfurter Zeitung», Leopold Sonnemann, und dem Vorsitzenden des Leipziger Arbeiterbildungsvereins, August Bebel, mit Erfolg. Wäre es nach den Württembergern gegangen, hätte sich die Demokratische Volkspartei noch sehr viel entschiedener zum Föderalismus bekannt. Dennoch beteiligten sie sich an der Neugründung. Eine schlagkräftige Organisation aber brachte die neue gesamtdeutsche Partei nicht zustande.
Ein allgemeiner Linksruck ließ sich aus der Gründung der Demokratischen Volkspartei nicht ableiten. Es gab vielmehr im «dritten Deutschland» auch Entwicklungen, die in eine andere Richtung deuteten. Sie gingen vom Großherzogtum Baden aus, wo seit 1861/62 die Liberalen an der Regierung waren. 1862, ein Jahr nach Sachsen und im gleichen Jahr wie Württemberg, führte Baden die Gewerbefreiheit ein. Gleichzeitig wurden die Schulen dem kirchlichen Einfluß entzogen, was zu langwierigen, heftigen Auseinandersetzungen und zur Entstehung einer klerikalen Volksbewegung führte. Mit Preußen wußte sich Baden nicht nur in Sachen Freihandel einig; die exponierte Lage an der Grenze zu Frankreich am Oberrhein schuf auch ein Sicherheitsbedürfnis, das eine enge Zusammenarbeit mit dem Hohenzollernstaat nahelegte.
Mit seiner propreußischen Haltung nahm das liberale Baden eine Sonderstellung unter den Mittelstaaten ein. Sachsen war zwar auch freihändlerisch, orientierte sich außenpolitisch aber eher an Österreich. Das letztere traf auch für Bayern und Württemberg zu. Im Falle eines Krieges mit dem Habsburgerreich mußte Preußen also damit rechnen, daß es die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundes gegen sich haben würde. Das war die Ausgangslage, wie sie sich den beiden Großmächten darstellte, als die Krise um Schleswig-Holstein Anfang 1866 in eine neue Phase trat.
Die Trennung der Verwaltung in den Herzogtümern war durch die Gasteiner Konvention auf eine Weise erfolgt, die sich bald als konfliktträchtig erwies. Preußen mußte, um in das von ihm verwaltete Schleswig zu gelangen, das österreichisch verwaltete Holstein passieren. Dem österreichischen Statthalter in Kiel schien nicht eben viel an einem guten Verhältnis zu Preußen zu liegen; jedenfalls rief er den
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