Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
war, anders als der amerikanische Sezessionskrieg der Jahre 1861 bis 1865, kein Bürgerkrieg. In den USA hatten sich Gliedstaaten eines Bundesstaates von demselben losgesagt, also gegen die Bundesgewalt rebelliert, was ihre eigene Gewalt irregulär machte. In Deutschland fand ein Krieg zwischen souveränen Staaten statt, ausgetragen von regulären Armeen und nicht von Freischärlern oder Barrikadenkämpfern. Die Preußen und Österreicher, die sich auf den Schlachtfeldern Böhmens schlugen, kämpften für ihren Staat und für ihren Herrscher. Das Bewußtsein, in einen Kampf gegen deutsche Brüder zu ziehen, dürften nur wenige von ihnen gehabt haben.
Dennoch gab es in der öffentlichen Meinung des «dritten Deutschland» das verbreitete Gefühl, daß dieser Krieg ein Bruderkrieg war. Das war er auch , wenn man an der Idee einer gemeinsamen, die Staaten überwölbenden und das deutschsprachige Österreich einschließenden deutschen Kulturnation festhielt, und das taten nicht nur die Großdeutschen, sondern auch die meisten Kleindeutschen. In den Klein- und Mittelstaaten hatte dieses Verständnis von deutscher Nation sehr viel mehr Anhänger als in Preußen, das nicht nur ein deutscher Staat, sondern auch eine europäische Großmacht war. Für die Großmacht Österreich, die sich seit Jahrhunderten aus Deutschland hinausentwickelt hatte, galt dasselbe, und zwar in sehr viel höherem Maß als für Preußen.
Die Gegenthese preußischer Liberaler zur These vom deutschen «Bruderkrieg» war die vom letzten deutschen Religionskrieg. Wenige Tage nach Kriegsbeginn, am 30. Juni 1866, schrieb die liberale Berliner «National-Zeitung»: «Wenn auch kein volksfreundliches Ministerium bei uns am Ruder ist, den Österreichern gegenüber vertritt Preußen dennoch die deutsche Volksfreiheit, gleichwie im Dreißigjährigen Krieg die starren Lutheraner und Reformierten die Geistesfreiheit vertraten und retteten …» Nach Königgrätz meinte die «Protestantische Kirchenzeitung», ein dem liberalen Deutschen Protestantenverein nahestehendes Blatt, durch diese Schlacht habe «endlich der Dreißigjährige Krieg seinen Abschluß gefunden». Durch Preußens Sieg sei der «Ultramontanismus (von «ultra montes», das heißt «jenseits der Berge», H.A.W.) im deutschen Lande ein für allemal gebrochen; denn nicht Österreichs Macht und Tendenzen allein sind aus Deutschland hinausgewiesen, sondern auch das Papsttum hat mit ihm seine letzte weltliche Stütze in Europa eingebüßt».
Tatsächlich war der Krieg von 1866 kein Religionskrieg. Aus Religion war weithin Ideologie geworden, auf protestantischer und liberaler Seite in viel höherem Maß als auf katholischer und konservativer. Die preußischen Liberalen, die so argumentierten wie die «National-Zeitung» oder die «Protestantische Kirchenzeitung», appellierten an ein bestimmtes Lebensgefühl, das zu den Grundlagen des preußischen Staates gehörte und zugleich über Preußen hinauswies. Das evangelische Lebensgefühl schloß eine bestimmte Idee von Deutschland in sich, die einer anderen, nicht weniger bestimmten Idee von Deutschland widersprach: der katholischen, die sich am Alten Reich und in seiner Nachfolge an Österreich orientierte.
Das habsburgische Vielvölkerreich war seit langem weniger «deutsch» als der Hohenzollernstaat. Als Graf Belcredi, der im Juli 1865 an die Spitze der Wiener Regierung trat, zwei Monate später den Vollzug des Februarpatents von 1861 aussetzte, war das kurze, von seinem Vorgänger Schmerling eingeleitete «deutsche» und liberale Zwischenspiel beendet. Es folgte die Suche nach einem Ausgleich mit Ungarn, die am 21. Dezember 1867, also im Jahr nach der Katastrophe von Königgrätz, in die Errichtung der «kaiserlichen und königlichen» Doppelmonarchie Österreich-Ungarn mündete. Durch das «Delegationsgesetz» wurde Ungarn aus dem Gesamtstaat ausgegliedert. Es erhielt einen eigenen Reichstag und ein eigenes Ministerium und schloß mit Österreich ein Zoll- und Handelsbündnis, das alle zehn Jahre erneuert werden sollte. Gemeinsame Angelegenheiten der österreichischungarischen Monarchie blieben die auswärtige Politik, das Heer, in dem Deutsch die Kommandosprache war, und die Finanzen. Innerhalb der neuen Personal- und Realunion gab es fortan zwei Nationalitätenstaaten. Ungarn erließ 1868 ein liberal anmutendes Nationalitätengesetz, betrieb tatsächlich aber eine scharfe Magyarisierungspolitik. Österreich erhielt im Dezember 1867 eine
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