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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Kaisers in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre war eine Militärreform, zu deren Kernelementen die Einberufung grundsätzlich aller Wehrpflichtigen (statt der bisherigen Entscheidung durch das Los), die Verstärkung der Reserven auf Kosten des stehenden Heeres und die Bildung einer «Garde nationale mobile» gehörten. Die Proteste in der Armee, im Bürgertum und bei der Landbevölkerung waren jedoch so massiv, daß am Ende des Gesetzgebungsverfahrens im Januar 1868 nur noch die Mobilgarde übrig blieb. Doch selbst sie erwies sich als Phantom: Die Deputierten sperrten sich gegen die Bewilligung der erforderlichen Haushaltsmittel, und der leitende Minister Rouher verzichtete darauf, das Projekt mit dem nötigen Nachdruck weiterzubetreiben.
    Für das Prestige des Kaisers womöglich noch fataler als das Scheitern der Armeereform war der Zusammenbruch des Crédit Mobilier im Jahre 1868: Da die eng mit dem Staat verbundene Bank einer der wichtigsten Träger der wirtschaftlichen Modernisierung Frankreichs gewesen war, wurde ihr klägliches Ende allgemein auch als ein Politikum betrachtet, das dem Ansehen des Second Empire insgesamt abträglich war. Dasselbe galt für Presseberichte über die Finanzierung der großen Stadterneuerung von Paris mit Hilfe schwarzer Kassen und außergesetzlicher Anleihen. Verantwortlich hierfür war der Präfekt des Departements Seine, Baron Haussmann, ein enger Vertrauter des Kaisers. Da parlamentarische Untersuchungen im Sande verliefen und Napoleon III. weiter zu ihm hielt, verblieb Haussmann im Amt.
    Mit den innen- und außenpolitischen Mißerfolgen der Jahre 1866 bis 1868 wuchs die Zahl der Kritiker und Gegner des Kaisers. Bei den Wahlen vom Mai und Juni 1869 gewann die Opposition gegenüber 1863 1,4 Millionen Stimmen hinzu, während die «offiziellen» Kandidaten 870.000 Stimmen verloren (die Zahl der registrierten Wähler lag mit 10,4 Millionen um 480.000 über dem Stand von 1863). In der Legislative spiegelte sich das Erstarken der Opposition auf den ersten Blick kaum wider: Sie kam auf 40 Sitze und gewann damit lediglich acht Mandate hinzu, war jedoch weniger zersplittert als zuvor. Verschiebungen gab es auch im Lager der regierungstreuen Kräfte, und zwar zu Lasten der konservativen «Bonapartisten»: émile Ollivier, ein ehemaliger Republikaner, der sich im Zuge der Liberalisierung des Regimes 1864 zum gouvernementalen Liberalen gewandelt hatte, konnte 116 Deputierte hinter sich versammeln, die sich in einer Petition für die Einführung einer parlamentarisch verantwortlichen Regierung aussprachen.
    Das Kabinett, das Napoleon III. im Juli 1869 einsetzte, bestand aus konservativen Ministern, war aber nur als Übergangslösung gedacht. Ein Senatsbeschluß vom 8. September sah eine deutliche Stärkung der Rechte der Legislative vor: Neben dem Kaiser hatte fortan auch der gesetzgebende Körper das Recht der Gesetzesinitiative; die Legislative durfte über die Etats der einzelnen Ministerien gesondert abstimmen; die Minister konnten künftig auch dem Senat oder dem Gesetzgebenden Körper angehören. Sie waren vom Kaiser abhängig, zugleich aber «verantwortlich» und konnten vom Senat angeklagt werden. Änderungen von Zoll- oder Posttarifen durch internationale Verträge durften künftig nur noch durch ein Gesetz in Kraft treten.
    Im Oktober 1869 nahm der Kaiser Verhandlungen mit Ollivier über die Bildung einer neuen Regierung mit liberalem Profil auf. Am 29. November erklärte der Monarch in einer außerordentlichen Sitzung des Gesetzgebenden Körpers: «Frankreich wünscht Freiheit, aber verbunden mit Ordnung. Was die Ordnung angeht, bin ich dafür verantwortlich; aber helfen Sie mir, meine Herren, die Freiheit zu bewahren.» 136 Deputierte unterzeichneten daraufhin eine Petition, die eine parlamentarisch verantwortliche Regierung forderte; die Republikaner versprachen den Antrag zu unterstützen. Der Kaiser antwortete mit der Entlassung des Übergangskabinetts und dem Auftrag an Ollivier, eine neue Regierung zu bilden (wobei Napoleon sich die Besetzung der Ämter des Kriegs- und des Marineministers vorbehielt).
    Da der Kaiser weiterhin die Kabinettsitzungen leiten wollte, gab es keinen Premierminister. Ollivier war offiziell lediglich Vizepremier und führte den Titel «Siegelbewahrer» (Garde des Sceaux). Am 2. Januar fand die konstituierende Kabinettsitzung statt. Die Minister verständigten sich darauf, in der Außenpolitik von der Hegemonie Preußens in Mitteleuropa als «fait

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