Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
über den Sturz Napoleons III. hinaus, drängte Bismarck aber zu Verhandlungen mit der neuen provisorischen Regierung in Paris. Tatsächlich traf sich der Leiter der preußischen Politik am 19. September zweimal mit Jules Favre. Eine Einigung war jedoch von vornherein ausgeschlossen: Der Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes verlangte die Annexion von Elsaß und Lothringen; der französische Außenminister konnte dieser Forderung nicht stattgeben. Bismarck ging davon aus, daß Frankreich nach seiner Niederlage in jedem Fall auf Revanche sinnen würde. Der Besitz von Elsaß und Lothringen versprach aus seiner Sicht eine gewisse Sicherheit vor einem neuen deutsch-französischen Krieg. Eben deshalb stimmte der Kanzler schließlich auch widerstrebend der Annexion des überwiegend französischsprachigen Gebiets um Metz zu, auf der der Generalstab aus strategischen Gründen bestand. Auch innenpolitische Gründe spielten bei der Einverleibung von Elsaß-Lothringen eine Rolle: Bismarck war es allemal leichter möglich, der Nationalbewegung durch eine Vergrößerung des deutschen Territoriums entgegenzukommen als bei der Erweiterung der Parlamentsrechte. In Frankreich hingegen galt der Verzicht auf die linksrheinischen Departements im Herbst 1870 als schlechthin unannehmbar. Ihre Bewohner mochten deutsch (oder besser «elsässerdütsch») sprechen, aber sie fühlten sich überwiegend als Bürger Frankreichs. Hätte die provisorische Regierung sich in dieser Frage Bismarcks Willen gebeugt, wäre sie sofort gestürzt worden.
Der Krieg ging also weiter, und zwar auf französischer Seite als Volkskrieg unter Gambettas Führung. Auf deutscher Seite war die Frage heftig umstritten, ob und gegebenenfalls wann Paris durch Artilleriebeschuß zur Kapitulation gezwungen werden sollte. Bismarck drängte, um eine Ausweitung des Krieges zu verhindern, auf eine rasche Kapitulation der Hauptstadt; Moltke und der Generalstab wollten Paris zunächst dem Druck der Aushungerung aussetzen. Am 31. Dezember 1870, später als von Bismarck erhofft, begann das deutsche Bombardement. Einen neuerlichen Konflikt mit Moltke über die Kapitulationsbedingungen konnte Bismarck schließlich mit Hilfe des Königs für sich entscheiden. Der Kanzler hatte zeitweilig daran gedacht, mit dem entmachteten Kaiser, der seit dem 5. September auf Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel interniert war, Frieden zu schließen, kam dann aber doch zu dem Ergebnis, daß es besser war, sich mit den friedenswilligen Republikanern um Adolphe Thiers und Jules Favre zu verständigen und Gambetta zu isolieren. Am 28. Januar 1871 wurde eine Vereinbarung über einen vorläufigen Waffenstillstand und die Übergabe von Paris unterzeichnet. Innerhalb von drei Wochen war demnach eine Nationalversammlung zu wählen. Mit der von dieser legitimierten Regierung sollten dann die endgültigen Friedensverhandlungen geführt werden.
Während in Frankreich noch gekämpft wurde, verhandelte Bismarck mit den süddeutschen Staaten über die Umwandlung des Norddeutschen Bundes in einen Deutschen Bund. Das Resultat waren die «Novemberverträge». Baden und Hessen-Darmstadt machten es dem Kanzler leicht, indem sie die Verfassung des Norddeutschen Bundes unverändert Übernahmen. Württemberg und vor allem Bayern setzten hingegen Zugeständnisse in Form der sogenannten «Reservatrechte» durch. So behielten beide Staaten eigene Post- und Eisenbahnverwaltungen; Bayern konnte sich darüber hinaus die Militärhoheit in Friedenszeiten und, in einem Geheimvertrag, das Recht sichern, bei allen Friedensverhandlungen durch einen eigenen Bevollmächtigten vertreten zu sein. Insgesamt wurde das föderalistische Element der Verfassung verstärkt: Bundesexekutionen und, mit gewissen Einschränkungen, Kriegserklärungen waren fortan an die Zustimmung des Bundesrates gebunden, der seinen Namen behielt. Die drei nichtpreußischen Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg hatten mit 14 von 58 Stimmen ein fast so starkes Gewicht wie Preußen, das über 17 Stimmen verfügte. 14 Stimmen reichten nach Artikel 78 aus, um Verfassungsänderungen zu verhindern, die im übrigen nur im Bundesrat, nicht im Reichstag, einer qualifizierten Mehrheit bedurften.
Die Sonderregelungen für Bayern stießen bei den unitarisch gesinnten Nationalliberalen auf scharfe Kritik. Die Katholische Fraktion, die sich seit dem Sommer 1870 politisch und organisatorisch zu festigen begann, hielt die Verfassung für zu wenig föderalistisch, die
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