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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Krieg sei, so erklärte er, kein gewöhnlicher, wie der preußisch-österreichische, der italienische oder der Krimkrieg es gewesen seien. «Dieser Krieg bedeutet die deutsche Revolution, ein größeres politisches Ereignis als die Französische Revolution des vergangenen Jahrhunderts. Ich will nicht sagen, daß es ein größeres oder gleich großes soziales Ereignis sei … Was aber hat sich jetzt ereignet? Das Gleichgewicht der Macht ist völlig zerstört; und das Land, welches am meisten darunter leidet und welches die Wirkungen dieses großen Wechsels am meisten zu spüren bekommt, ist England.»
    Die Bildung eines großdeutschen Nationalstaates, der die deutschsprachigen Gebiete Österreichs umfaßte, hätte das europäische Gleichgewicht noch sehr viel radikaler verändert als die von Bismarck durchgesetzte kleindeutsche Lösung. Mit der «halbhegemonialen Stellung des Bismarckreiches auf dem Festland», von der der Historiker Ludwig Dehio rückblickend 1951 gesprochen hat, konnten sich England und Rußland gerade noch abfinden. Wider Willen half ihnen das besiegte Frankreich dabei: Seine Hauptstadt gab, noch während deutsche Truppen im Lande standen, in Gestalt des Aufstands der «Kommune» der Welt das Beispiel einer vollständigen Umwälzung von Staat und Gesellschaft. Vor dem Hintergrund der roten Revolution der Kommunarden, von der noch zu reden sein wird, verlor Bismarcks «deutsche Revolution» viel von ihrem Schrecken: Das neugegründete Deutsche Reich präsentierte sich Europa als konservative Ordnungsmacht.
    Mit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 kam nicht nur die deutsche, sondern auch die italienische Nationalstaatsbildung zumindest äußerlich zum Abschluß. Machtsteigerung durch Schaffung einer größeren, sprachlich verbundenen, politisch handlungsfähigen territorialen Einheit: An diesem Ziel hatten sich die Nationalbewegungen und die Eliten in beiden Ländern orientiert. Durch die Gründung von Nationalstaaten wurden Deutschland und Italien «westlicher»: Sie überwanden die gebietsmäßige Zersplitterung und paßten sich westeuropäischen Vorstellungen von einer staatlich verfaßten Nation an – das unitarische Italien freilich sehr viel konsequenter als das föderalistische Deutschland.
    Auch in anderer Hinsicht kam das Königreich Italien westlichen Vorbildern näher als das Deutsche Reich: In Rom hing die Regierung vom Vertrauen des Parlaments ab; in Berlin stand die Exekutive der Volksvertretung als unabhängige Macht gegenüber. Dafür war das deutsche Wahlrecht auf nationaler Ebene demokratisch, das italienische extrem elitär. Innenpolitische Konflikte waren in beiden Systemen von Anfang an angelegt. Eine Entwicklung in Richtung Demokratie erschien nur als eine Möglichkeit unter anderen. Die äußere Einheit des jungen Nationalstaats bot einen Rahmen für die Aufgabe, die Deutschland und Italien noch bevorstand: die innere Einigung oder, anders gewendet, die Herausbildung einer Staatsnation.[ 13 ]
    Nach der Niederlage: Die Anfänge der Dritten Republik in Frankreich
    Für den alten Nationalstaat Frankreich bedeutete der Ausgang des Krieges mit Deutschland eine tiefe Zäsur: Die militärische Niederlage war schon als solche eine demütigende Erfahrung; der Verlust von Elsaß und Lothringen erwies sich als Wunde, die nicht verheilen wollte; Frankreich konnte seinen Status als europäische Großmacht zwar behaupten, sein Rang war nach dem Sieg Preußen-Deutschlands aber ein geringerer als vor 1870/71.
    In der Nationalversammlung, die am 8. Februar 1871 auf Grund des allgemeinen gleichen Wahlrechts für Männer gewählt wurde, verfügten die Monarchisten mit mehr als 400 Abgeordneten über eine satte Mehrheit; die Republikaner kamen auf etwa 200, die Bonapartisten auf 20 Sitze. Allerdings waren die beiden großen «Lager» in sich gespalten: die Monarchisten in Legitimisten, also Anhänger des Hauses Bourbon, und Orleanisten, die Republikaner in Gemäßigte und Radikale. Da die Monarchisten sich auf keine gemeinsame Position verständigen konnten und der Friedensschluß die vordringlichste Aufgabe war, mußten die Fragen der Staatsform und der künftigen Verfassung zunächst vertagt werden. Die Dritte Republik, wie sie aus dem deutsch-französischen Krieg hervorgegangen war, bestand also einstweilen nur de facto und blieb ein Provisorium.
    An ihre Spitze trat, als Nachfolger der Regierung der nationalen Verteidigung, ein «Chef du pouvoir exécutif de la République». Am 13.

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