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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Februar berief die Nationalversammlung in Bordeaux auf diesen Posten einen Politiker, der schon 1836 und 1840 unter König Louis-Philippe Ministerpräsident und Außenminister gewesen war, aber auch unter konservativen Republikanern hohes Ansehen genoß: den erfolgreichsten Kandidaten in den Wahlen vom Februar 1871, Adolphe Thiers. Er bildete ein Kabinett aus Orleanisten und drei gemäßigten Mitgliedern der bisherigen Regierung, unter ihnen Jules Favre als Außenminister. Gegenüber der politisch gespaltenen Nationalversammlung verpflichtete sich Thiers im sogenannten «Pacte de Bordeaux» für die Dauer der Friedensverhandlungen zu parteipolitischer Neutralität.
    Die Friedensverhandlungen wurden überschattet durch einen regionalen, innerfranzösischen Bürgerkrieg: den Aufstand der Pariser Kommune. Seine tiefere Ursache war der Gegensatz zwischen der Hauptstadt, in der bei den Wahlen vom Februar die Republikaner gesiegt hatten, und der überwiegend monarchistischen Provinz. Als die Nationalversammlung am 13. Februar auf ihrer ersten Sitzung Thiers an die Spitze der Regierung berief und als ihren Tagungsort nicht Paris, sondern Versailles bestimmte, wurde das von den Pariser Republikanern als Bekenntnis zur Monarchie gedeutet. Zwei Tage später setzten die Nationalgarden ein Zentralkomitee zur Verteidigung der Republik ein und bemächtigten sich der Kanonen, die andernfalls in die Hände der Deutschen gefallen wären. Die Regierung nahm das als Kampfansage und beendete die Soldzahlung an die Nationalgarden, deren Angehörige meist Arbeiter, Handwerker, kleine Kaufleute und Angestellte waren. Am 18. März versuchten nach Paris beorderte Regierungstruppen, die Kanonen in ihren Besitz zu nehmen. Nach dem Fehlschlag dieser stümperhaft vorbereiteten Aktion verfügte Thiers, gegen den Rat gemäßigter Republikaner, die Evakuierung der Hauptstadt und gab damit das Signal zum allgemeinen Aufstand.
    Am 26. März wählte die in Paris verbliebene Bevölkerung einen Rat der Kommune, in dem sogenannte Jakobiner, Anhänger von Proudhon und Blanqui sowie solche der Internationalen Arbeiter-Assoziation das Übergewicht hatten. Die meisten Dekrete der Kommune standen in engem Zusammenhang mit der Bürgerkriegssituation; einige, wie der Erlaß von Miet- und Geschäftsschulden, ein Nachtbackverbot und die Einführung unentgeltlichen Schulunterrichts, waren Ausdruck des Willens zu einer Gesellschaftsreform im Sinne der «kleinen Leute». Die sonstigen über den Tag hinaus weisenden Beschlüsse standen zum Teil, wie die Beschlagnahme von Ordensbesitz und die Schließung von Kirchen, in der Tradition der «Montagne» von 1792/93, zum Teil entsprachen sie, wie die Forderung nach einem föderalistischen Staats- und Gesellschaftsaufbau, den Vorstellungen des 1865 verstorbenen Proudhon. Aus jakobinischen und proudhonistischen Quellen stammte auch die Kontrolle des Rats der Kommune durch Volksversammlungen in Gestalt der Klubs. «Kommunistisch» war die Kommune nicht: Das Privateigentum als solches blieb unangetastet. Selbst von den Anhängern der Ersten Internationale, die dem Rat der Kommune angehörten, kannte kaum einer die Lehren von Marx.
    Das schreckliche Ende kam in der «semaine sanglante», der «Blutwoche», vom 21. bis 28. Mai 1871. Nach fast zweimonatiger Belagerung nahmen die von Marschall Mac-Mahon befehligten Regierungstruppen die Hauptstadt ein. Als Antwort auf die Erschießung von Gefangenen durch das Militär töteten die Kommunarden ihrerseits 64 Geiseln, darunter den Erzbischof von Paris. Die Regierungstruppen machten zahllose Aufständische nach der Gefangennahme nieder; Standgerichte verurteilen Tausende, die dann an der «Mauer der Konföderierten» erschossen wurden. Insgesamt kamen während der «Blutwoche» etwa 20.000 Kommunarden ums Leben; auf Seiten der Regierungstruppen fielen rund 400 Soldaten. In der Folgezeit ergingen etwa 10.000 Verurteilungen von Kämpfern der Kommune zu Zwangsarbeit, Gefängnis, Zuchthaus oder Deportation in die Sträflingskolonien von Neukaledonien. Von 93 Todesurteilen wurden 23 vollstreckt.
    Die außerordentliche Härte der Regierung Thiers erklärt sich zu einem erheblichen Teil daraus, daß diese ihre Verhandlungsposition gegenüber den Deutschen durch den Pariser Aufstand geschwächt sah. Je entschiedener die offizielle Staatsgewalt gegen die Kommunarden vorging, desto mehr konnte sie hoffen, im In- und Ausland respektiert zu werden. Die Kommune litt von Anfang an darunter, daß

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