Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Bosnien und die Herzegowina kamen unter die Verwaltung des Habsburgerreiches. England nahm, entsprechend einer geheimen vertraglichen Vereinbarung mit der Hohen Pforte, das bislang türkische Zypern in Besitz, blieb aber gleichwohl die verläßlichste Stütze des Osmanischen Reiches unter den europäischen Großmächten. Nahm man alles zusammen, schuf der Berliner Kongreß keine Friedensordnung, die Aussicht auf langen Bestand hatte: Viele Beschlüsse trugen den Keim neuer Konflikte in sich, nur wenige wirkten dauerhaft klärend.
Bismarck war auf dem Berliner Kongreß der Devise gefolgt, die er ein Jahr zuvor, am 15. Juni 1877, in seinem «Kissinger Diktat» in die Worte gekleidet hatte, sein Bild von Deutschland sei «nicht das irgendeines Ländererwerbs, sondern eine politische Gesamtsituation, in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden». Die russische Enttäuschung und Verbitterung über die Ergebnisse der Konferenz im allgemeinen und Bismarcks Anteil daran im besonderen war jedoch so groß, daß es im Jahr danach erstmals zu einer demonstrativen Annäherung an Paris kam: Im Sommer 1879 nahm der Chef des russischen Generalstabs als Beobachter an französischen Manövern teil. Wenig später wurden sogar russische Truppen in der Nähe der Grenze des Deutschen Reiches konzentriert. Russische Sondierungen wegen eines Bündnisses mit Frankreich stießen jedoch in Paris auf Ablehnung, worüber Bismarck sogleich von Außenminister Waddington in Kenntnis gesetzt wurde.
Die Entfremdung zwischen Deutschland und Rußland durch eine deutsche Annäherung an England auszugleichen war schon deswegen nicht möglich, weil London nicht daran dachte, sich durch feste Ansprachen an eine der kontinentalen Großmächte Fesseln anlegen zu lassen. Es bedeutete daher für Bismarck bereits einen großen außenpolitischen Erfolg, daß es ihm gelang, in Verhandlungen mit dem österreichischen Außenminister Graf Andrássy, einem ehemaligen Teilnehmer des ungarischen Freiheitskampfes von 1848/49, jenen «Zweibund» zu vereinbaren, in dem das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn sich im Oktober 1879 für den Fall eines russischen Angriffs zu wechselseitiger militärischer Unterstützung verpflichteten. Die Absprache trug geheimen Charakter. Wäre es nach dem Reichskanzler gegangen, hätte das Bündnis durch parlamentarische Ratifizierung eine staatsrechtliche Absicherung erfahren. Das lehnte Andrássy jedoch ab, weil er einen von Deutschland geführten mitteleuropäischen Block als nicht verträglich mit den Interessen Österreich-Ungarns ansah. Doch auch ohne diese feste Verankerung kam dem Vertrag historische Bedeutung zu: Mit dem Zweibund knüpften Berlin und Wien an jahrhundertealte Bindungen an, die bis zur Auflösung des Deutschen Bundes im Krieg von 1866 bestanden hatten. Die beiden Mächte wurden enge Verbündete, was ihnen ein gewisses Maß an zusätzlicher Sicherheit brachte, aber auch Gefahren in sich barg: Jeder Partner konnte den anderen in schwere Verlegenheit versetzen, wenn er seine außenpolitischen Interessen auf eigene Faust verfocht.
Dem Zweibund folgte drei Jahre später der Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien, wobei die Initiative von der italienischen Regierung unter Depretis ausging. In dem auf fünf Jahre befristeten Vertrag vom Mai 1882 versprachen Berlin und Wien Rom Hilfe für den Fall eines unprovozierten französischen Angriffs; die umgekehrte Verpflichtung übernahm Italien gegenüber Deutschland. Bei einem Krieg mit einer anderen europäischen Macht sicherten sich die Partner wohlwollende Neutralität, bei einem Krieg mit mehreren militärischen Beistand zu. Im Oktober 1884 trat Rumänien, seit 1881 ein Königreich unter dem bisherigen Fürsten Karol I. aus dem Haus Hohenzollern-Sigmaringen, dem Dreibund bei, und zwar in der Form, daß Rumänien ein geheimes, auf drei Jahre befristetes Schutzbündnis mit Österreich-Ungarn schloß, dem Deutschland am gleichen Tag beitrat. Italien tat diesen Schritt erst im Mai 1888.
Die Beziehungen zwischen Rußland und den beiden mitteleuropäischen Großmächten hatten sich mittlerweile so entspannt, daß im Juni 1881 das auf drei Jahre befristete Dreikaiserbündnis zustande kam, in dem sich St. Petersburg, Wien und Berlin wechselseitig wohlwollende Neutralität für den Fall zusicherten, daß eine der drei Mächte in einen Krieg
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