Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
mit einer vierten Macht verwickelt wurde. Eine Verlängerung um drei Jahre gelang 1884. Im Jahr darauf aber brach im Gefolge der Einverleibung Ostrumeliens durch Bulgarien, eines vom Zaren scharf mißbilligten revolutionären Akts, ein neuer Balkankrieg zwischen Serbien und Bulgarien aus, der zu einem schweren Konflikt zwischen Rußland und Österreich-Ungarn führte. Nach dem Sieg Bulgariens verhinderte Wien ohne Rücksprache mit Rußland serbische Gebietsabtretungen, was in St. Petersburg als Verletzung des Dreikaiserbündnisses betrachtet wurde, das in solchen Fällen Konsultationen vorsah.
1886 verschlechterte sich das russisch-österreichische Verhältnis noch weiter: Das Zarenreich nahm aktiven Anteil an einer Militärrevolte gegen den Fürsten Alexander von Battenberg, der seit 1879 an der Spitze Bulgariens stand. Die Hoffnungen, die Rußland in den Sturz Alexanders gesetzt hatte, erfüllten sich jedoch nicht. Unter Prinz Ferdinand von Coburg-Koháry, der im Juli 1887 als Ferdinand I. den Thron bestieg, kühlten sich die Beziehungen zwischen Sofia und St. Petersburg noch weiter ab. An eine abermalige Verlängerung des Dreikaiserbündnisses war unter diesen Umständen 1887 nicht mehr zu denken.
Um so wichtiger war es für Deutschland und Österreich-Ungarn, den Dreibund mit Italien, der 1887 auslief, zu erneuern und zu einer Mittelmeerallianz auszubauen. Im Mai 1887 war das Vertragswerk unter Dach und Fach. Neu waren die Einbeziehung Spaniens, die Festlegung auf eine wechselseitige Verständigung über Kompensationen zugunsten der Partner für den Fall, daß eine der Mächte sich genötigt sah, den Status quo zu verändern, und das Berliner Versprechen, im Fall eines italienisch-französischen Krieges um nordafrikanische Gebiete Italien zu Hilfe zu kommen. Das Eintreten dieses Bündnisfalles war jedoch höchst unwahrscheinlich, da sich Italien im Februar 1887 mit Großbritannien auf die Bewahrung des Status quo im Mittelmeer, der Adria, der ägäis und am Schwarzen Meer verständigt hatte.
Die Annäherung Englands an den Dreibund wurde von Bismarck in einem Briefwechsel mit dem britischen Premierminister Lord Salisbury nachdrücklich gefördert, weil er darin ein Mittel sah, die britisch-russische Rivalität am Leben zu erhalten und so ein Zusammengehen beider Mächte gegen Deutschland zu verhindern. Die Bemühungen des deutschen Kanzlers führten zum Erfolg: Im November 1887 wurde die sogenannte «Mittelmeerentente» besiegelt. Sie war ein Geheimbündnis zwischen Österreich-Ungarn, Italien und Großbritannien, in dem sich die Vertragspartner zur Aufrechterhaltung des Status quo im gesamten Mittelmeerraum und am Schwarzen Meer sowie zur Sicherung der Unabhängigkeit des Osmanischen Reiches verpflichteten. Deutschland wurde als einzige nichtbeteiligte Großmacht von dem Vertrag in Kenntnis gesetzt und dadurch zu einem stillen Teilhaber des Paktes.
Die antirussische Stoßrichtung des Mittelmeerdreibunds war, objektiv gesehen, unvereinbar mit einem anderen Geheimabkommen aus dem gleichen Jahr: dem Rückversicherungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Rußland, den Bismarck am 18. Juni 1887 nach langen Verhandlungen mit Botschafter Schuwalow abgeschlossen hatte. In Anknüpfung an das Dreikaiserbündnis legten sich die vertragschließenden Parteien auf wohlwollende Neutralität bei einem Krieg mit einer anderen Großmacht fest, wobei die Fälle eines unprovozierten russischen Angriffs auf Österreich-Ungarn und eines unprovozierten deutschen Angriffs auf Frankreich ausgenommen wurden. Deutschland erkannte den russischen Einfluß auf Bulgarien an. In einem «ganz geheimen» Zusatzprotokoll versprach es dem Zaren sogar Unterstützung für den Fall, daß dieser sich genötigt sehen sollte, die Interessen seines Reiches am Ausgang des Schwarzen Meeres zu verteidigen.
Diese Klausel widersprach strikt dem Londoner Pontusvertrag vom März 1871, der die Meerengen für Kriegsschiffe aller Nationen sperrte, ebenso wie dem Geist des deutsch-österreichischen Zweibundes und den Zielen der im Entstehen begriffenen Mittelmeerentente. Der Reichskanzler nahm das in Kauf, um sich die russische Neutralität für den Fall eines französischen Angriffs zu sichern. Daß die Gefahr eines Zweifrontenkrieges damit dauerhaft gebannt war, glaubte Bismarck nicht. Doch zumindest erschwerte der Rückversicherungsvertrag ein Zusammengehen zwischen Frankreich und Rußland gegen Deutschland, und zugleich konnte er dazu beitragen, daß
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