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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Rußland durch ein Ultimatum an die Hohe Pforte die Einberufung einer Konferenz der Botschafter aller Großmächte, die im Dezember 1876 in Konstantinopel zusammentrat, um das Osmanische Reich zur Gewährung von Autonomie für die christlichen Balkanvölker und zu tiefgreifenden inneren Reformen zu veranlassen. Sultan Abdulhamid II. versuchte dem massiven Druck dadurch zu entkommen, daß er von sich aus am 23. Dezember 1876 eine Verfassung erließ, die die Grundlage der Wahl eines türkischen Parlaments im März 1877 bildete, der Türkei aber auch die Möglichkeit gab, das Drängen anderer Mächte auf Veränderungen als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückzuweisen. Das konstitutionelle Intermezzo war aber nur von kurzer Dauer. Der maßgebliche Reformer, Großwesir Midhat Pascha, der die Verfassung entworfen hatte, verlor sein Amt als Regierungschef bereits im Februar 1877; im Jahr darauf wurde die Verfassung suspendiert. Die rasche Abkehr vom Kurs innerer Reformen hatte auch einen außenpolitischen Hintergrund: Großbritannien hatte die entsprechenden Forderungen der anderen Großmächte zwar formal mitgetragen, die Türken aber vertraulich wissen lassen, daß sie im Fall eines russischen Angriffs mit wie auch immer gearteter britischer Unterstützung rechnen durften. Das genügte, um den Willen zur Erneuerung erlahmen zu lassen.
    Rußland nahm den offenkundigen Fehlschlag der gemeinsamen Aktion der Großmächte zum Anlaß, der Türkei am 24. April 1877 den Krieg zu erklären. Zuvor hatte sich das Zarenreich von Rumänien das Durchmarschrecht für seine Truppen zusichern lassen (und Rumänien dafür Unterstützung bei jener einseitigen Erklärung seiner Unabhängigkeit versprochen, die dann im Mai erfolgte). In den Kämpfen, die zehn Monate dauerten, waren die Russen sowohl auf dem Balkan als auch an der nordostanatolischen Front erfolgreich. Im Januar 1878 schien der Fall von Konstantinopel nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Aber London ließ St. Petersburg rechtzeitig wissen, daß eine Eroberung der Hauptstadt des Osmanischen Reiches für Großbritannien ein Grund wäre, Rußland den Krieg zu erklären. Unter diesen Umständen entschied sich Zar Alexander II., auf ein türkisches Verhandlungsangebot einzugehen. Im Vorfrieden von San Stefano, heute ein Vorort von Istanbul, setzte das Zarenreich seine Forderung nach einem Großbulgarien unter Einschluß von ganz Mazedonien durch, was die Türkei in mehrere, nicht untereinander verbundene Gebietsteile zerrissen hätte. Rußland wäre, hätte der Diktatfriede von San Stefano Bestand gehabt, zur beherrschenden Macht auf dem Balkan geworden.
    Mit diesem Ergebnis aber waren weder Großbritannien noch Frankreich oder Österreich-Ungarn einverstanden. London schloß im Juni ein Bündnis mit der Türkei und drohte mit einem militärischen Eingreifen, falls russische Truppen am südlichen Kaukasus weiter vorrücken sollten. Die Situation erschien Alexander II. so gefährlich, daß er sich entschloß, dem Gedanken einer internationalen Konferenz zuzustimmen. Sie fand von Mitte Juni bis Mitte Juli 1878 in der Hauptstadt des Deutschen Reiches statt. Die beherrschende Figur auf dem Berliner Kongreß war Bismarck. Da Deutschland, anders als die anderen Großmächte, auf dem Balkan keine unmittelbaren Eigeninteressen verfolgte, fiel seinem Kanzler die Rolle zu, die er sich wünschte: die des «ehrlichen Maklers».
    Mit dem, was die Konferenz erbrachte, konnte sich der britische Premierminister Disraeli, seit 1876 Lord Beaconsfield, sehr viel leichter einverstanden erklären als der russische Außenminister Fürst Gortschakow. Vom Ziel eines Großbulgarien mußten sich Bulgaren und Russen verabschieden. Das nördliche Bulgarien wurde ein autonomes, dem Osmanischen Reich tributpflichtiges Fürstentum, der südliche Teil, Ostrumelien, eine türkische Provinz unter einem christlichen Gouverneur. Serbien, Montenegro und Rumänien wurden territorial vergrößert und souveräne Staaten. Griechenland wurde eine Gebietserweiterung in Thessalonien versprochen, die drei Jahre später tatsächlich erfolgte. Rußland behielt von seinen Eroberungen im Kaukasus nur Batum, Kars und Ardahan. Es nahm Rumänien das südliche Bessarabien wieder ab, das 1856 im Pariser Frieden an das Fürstentum Moldau gefallen war. Rumänien, das 1858 aus der Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei hervorgegangen war, wurde dafür durch den bulgarischen Nordteil der Dobrudscha entschädigt.

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