Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Erschöpfung, Obdachlosigkeit und Krankheit, aber auch eine drastisch gesunkene Geburtenrate.
Was im Kongo geschah, konnte nicht lange verborgen bleiben. Einer der ersten, die auf die Verbrechen der neuen Herrscher aufmerksam machte, war der Historiker George Washington Williams, ein Amerikaner schwarzer Hautfarbe, der im Sommer 1890 noch während einer Reise durch das Kongobecken in einem offenen Brief an König Leopold und wenig später in einem Bericht an den amerikanischen Präsidenten Benjamin Harrison über seine erschreckenden Beobachtungen berichtete. Ein anderer früher Zeuge war Reverend William Sheppard von den Southern Presbyterians, ein schwarzer Missionar aus den Vereinigten Staaten, der sich seit 1890 im Kongo aufhielt, aber erst 1899 bei einer Reise ins Landesinnere Beweise jüngster Massaker in Gestalt von über 80 abgehackten Händen fand und darüber Artikel in Missionszeitschriften verfaßte.
1897 oder 1898 entdeckte Edmund Dene Morel, ein Angestellter einer Liverpooler Schiffahrtslinie, daß aus dem Kongo nur Elfenbein und Kautschuk, in den Kongo aber nur Waffen geliefert wurden. Sein Verdacht auf Sklavenarbeit bestätigte sich bei genaueren Nachforschungen. Morel organisierte eine großangelegte Aufklärungskampagne über die Zustände im Kongostaat. Er korrespondierte mit Missionaren, sammelte Beweise wie Fotografien von Opfern und Strafaktionen, wirkte eng mit Roger Casement, dem aus Irland stammenden britischen Generalkonsul im Kongo, zusammen, der seine Regierung unablässig über die im Kongo begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterrichtete, und gewann die Unterstützung bedeutender Schriftsteller wie Mark Twain, Anatole France und Sir Arthur Conan Doyle, des Erfinders von Sherlock Holmes.
Ein anderer Schriftsteller konnte das lesende Publikum aus eigener Anschauung über die Schrecken der Kolonialherrschaft im Kongo aufklären: Józef Teodor Konrad Nalecz Korzeniowski, ein gebürtiger Pole, der sich als englisch schreibender Autor Joseph Conrad nannte. Conrad war 1890/91 ein halbes Jahr als junger Schiffsoffizier im Kongo unterwegs, um sich zum Dampfschiffkapitän ausbilden zu lassen. Er wurde Zeuge von Grausamkeiten, die ihn zutiefst verstörten, über die er aber erst Jahre später, 1899, in einem kurzen, zunächst in «Blackwood’s Magazine» abgedruckten Roman mit dem Titel «Herz der Finsternis» berichtete. So gut wie nichts war erfunden, auch nicht jener «Mr. Kurtz» genannte Handelsagent, der Köpfe getöteter «Neger» auf den Zaunpfählen vor seinem Haus aufzuspießen pflegte. Vorbilder für «Mr. Kurtz» waren mehrere Offiziere und Agenten, darunter der belgische Hauptmann Léon Rom von der Force Publique, der Zeitungsberichten zufolge eine solche Untat wirklich begangen hatte.
König Leopold versuchte, unliebsame Meldungen über «seinen» Kongo zu unterdrücken, die Öffentlichkeit im In- und Ausland in seinem Sinn zu beeinflussen und die persönliche Glaubwürdigkeit seiner Kritiker, wo immer möglich, zu erschüttern. Ein nachhaltiger Erfolg war ihm dabei nicht beschieden. Im Mai 1903 verabschiedete das britische Unterhaus auf Betreiben von Morel eine Entschließung, in der die Abgeordneten die Forderung erhoben, «die Eingeborenen (des Kongo, H.A.W.) nach den Grundsätzen der Menschlichkeit» zu regieren. Im Jahr darauf gründete Morel die «Congo Reform Association», die wachsenden Druck auf die Regierungen Belgiens, Großbritanniens und der USA ausübte und schließlich einige Änderungen zum Besseren hin bewirkte.
Nachdem auch die Opposition im Brüsseler Parlament aktiv geworden war, entschloß sich Leopold II. im Jahre 1904, eine Unabhängige Untersuchungskommission für den Kongostaat einzusetzen. Sie leistete sachliche Arbeit, traf aber am Ende nur allgemeine Feststellungen, ohne die von ihr gesammelten Aussagen von Opfern der Force Publique wörtlich zu zitieren, geschweige denn in vollem Umfang zu publizieren. Da die öffentliche Kritik nicht nachließ und der Druck aus Washington und London zunahm, sah sich der König schließlich genötigt, den Unabhängigen Kongostaat, den er schon 1890 gegen eine großzügige Kreditbewilligung des Parlaments dem Königreich Belgien testamentarisch vermacht hatte, dem belgischen Staat zu übertragen. Nach langen Verhandlungen wurde im März 1908 eine entsprechende Vereinbarung getroffen, wobei Belgien alle Schulden des Kongo übernahm und Leopold eine hohe Abfindungssumme zahlte. Die Akten über die 23 Jahre,
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