Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
festlegte.
Die Kongokonferenz ging am 26. Februar 1885 zu Ende. Im gleichen Monat gelang es Deutschland, durch den kaiserlichen Schutzbrief für das von Carl Peters und seiner Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft erworbene Gebiet den Traum Cecil Rhodes’ von einer Landbrücke zwischen Ägypten und Südafrika, der Linie vom Kap bis Kairo, zu zerstören. Doch unter dem konservativen Premier Lord Salisbury standen die Zeichen in London auf Verständigung und Ausgleich mit Deutschland. Im Oktober 1886 einigten sich das Vereinigte Königreich und das Deutsche Reich auf die Abgrenzung ihrer Interessensphären in Ostafrika: Tanganjika mit Burundi und Ruanda, ein teilweise bereits seit 1885 von Deutschland «geschütztes» Gebiet, wurde dem deutschen, Kenia und Uganda dem britischen Einflußbereich zugeschlagen.
Den Höhepunkt der deutsch-englischen Zusammenarbeit in Ostafrika bildete der Helgoland-Sansibar-Vertrag vom Juli 1890, der von Bismarcks Nachfolger, dem General von Caprivi, unterzeichnet wurde. Deutschland trat die Insel Sansibar, bisher ein Teil von Deutsch-Ostafrika, an Großbritannien ab; das Vereinigte Königreich gewährte Deutsch-Südwestafrika einen Zugang zum Sambesi, den sogenannten «Caprivi-Zipfel», und überließ dem Deutschen Reich die Insel Helgoland, deren Besitz England sich 1814 auf dem Wiener Kongreß gesichert hatte. Die deutsch-französische Kolonialentente war mit der Kongokonferenz an ihr Ende gelangt; das deutsch-britische Zusammenspiel, das kurz darauf einsetzte, sollte indes nur von kurzer Dauer sein.
Ein völkerrechtlich bedeutsames Ergebnis der Kongokonferenz war das Verbot des Sklavenhandels durch die Kongoakte vom 26. Februar 1885. Mit Blick auf das Kongobecken verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, dieses Gebiet weder als Markt noch Durchgangsstraße für den Sklavenhandel zu verwenden. Ein Teilnehmer, der sich gern, unter anderem auf der Internationalen Anti-Sklaverei-Konferenz in Brüssel 1889/90, als Kämpfer gegen Sklavenhandel und Sklaverei feiern ließ, hielt sich nicht an diese Festlegung: der Besitzer des Kongostaates, der König der Belgier, Leopold II. Einen berüchtigten afroarabischen Sklaven- und Elfenbeinhändler aus Sansibar, der im östlichen Kongo die faktische Herrschaft ausübte, setzte er in diesem Gebiet als Gouverneur ein. Leopold schuf die «Force Publique», eine von weißen Offizieren geführte Söldnertruppe aus meist zwangsrekrutierten Schwarzafrikanern. Die Force Publique erzwang Arbeit mit den Mitteln des Terrors. Arbeit hieß zunächst Lieferung von Elfenbeinzähnen, was die massenhafte Tötung von Elefanten voraussetzte, und seit den neunziger Jahren auch Sammeln von Kautschuk, der unter anderem für die Produktion von Gummireifen benötigt wurde.
In keiner anderen afrikanischen Kolonie wurden Arbeitskräfte derart systematisch versklavt, mißhandelt und umgebracht wie im Unabhängigen Kongostaat. Wer sich weigerte, Weisungen der Force Publique zu befolgen, wer zu wenig oder zu spät Elfenbein oder Kautschuk lieferte oder die Soldaten nicht mit Fisch oder Maniok versorgte, wurde mit der «chicotte», einer Peitsche aus ungegerbter, an der Sonne getrockneter Nilpferdhaut, ausgepeitscht. Eine andere Maßnahme war das Abhacken der rechten Hand, was oft den Tod bedeutete und von den auftraggebenden Offizieren oder Unteroffizieren als Beleg für vollzogene Tötung gewertet wurde (weshalb die Soldaten auch Leichen oft die Hände abhackten). Selbst Kinder wurden zur Arbeit gepreßt, ausgepeitscht und in Ketten gelegt, Frauen in Geiselhaft genommen, um ihre Männer zum Kautschuksammeln zu zwingen. Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung, ebenso das Niederbrennen von Dörfern, die als Hindernis für die Anlage von Kautschukplantagen galten. Massenerschießungen waren die Antwort auf jedwede Art von Widerstand gegen die Organe der Staatsgewalt. Das alles waren keine individuellen Exzesse, die es häufig auch gab; es waren die von oben angeordneten oder geduldeten, alltäglichen Formen der Erzwingung von Sklavenarbeit.
Das Ergebnis rechnete sich: Der Kongostaat Leopolds II. war um die Jahrhundertwende die profitabelste Kolonie ganz Afrikas. Über die Zahl der Opfer gibt es keine verläßlichen Daten: Sie dürfte in die Millionen gegangen sein. Nach einer begründeten Schätzung hat sich die Bevölkerung auf dem Gebiet des Kongostaates zwischen 1880 und 1920 um die Hälfte vermindert. In diesem Befund spiegeln sich Morde, Tod durch Verhungern,
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