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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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entgegenzusehen: Bismarck konnte keineswegs sicher sein, daß er unter einem Kaiser Friedrich Reichskanzler bleiben würde. Vielmehr mußte er mit der Möglichkeit eines liberalen «Kabinetts Gladstone» in Deutschland rechnen. Um so wichtiger war es, auf außenpolitischem Gebiet Tatsachen zu schaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen und überdies auch noch innenpolitisch populär waren und sich bei den nächsten Reichstagswahlen im gouvernementalen Sinn auszuzahlen versprachen. Entsprechend haben sich der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Herbert von Bismarck, der Sohn und enge Mitarbeiter des Reichskanzlers, aber auch dieser selbst geäußert.
    Doch selbst wenn Bismarck sich nur zeitweilig und eher halbherzig um Kolonien für Deutschland bemühte, heißt das noch nicht, daß er kein «Imperialist» gewesen wäre. Er war es von dem Augenblick an, wo er aus außenpolitischen Gründen die koloniale Expansion anderer europäischer Mächte, vor allem Frankreichs, förderte. Die Errichtung von deutschen Protektoraten entsprach im übrigen nur zu gut der Wende zum Protektionismus, die Bismarck 1879 vollzogen hatte. Die deutschen Kolonien erlangten zwar weder als Rohstofflieferanten noch als Siedlungsgebiete eine nennenswerte Bedeutung; sie hatten auch keine positive Wirkung auf die Konjunktur und blieben, mit Ausnahme von Togo und West-Samoa, das 1899 unter ausschließlich deutsche Verwaltung kam, finanzielle Zuschußgebiete, so daß die Kolonien insgesamt für den Reichshaushalt eine Belastung darstellten. Aber der Bann war seit 1885 gebrochen: Deutschland war nunmehr Kolonialmacht; es spielte eine weltpolitische Rolle, und eben darum übten die Kolonien auf breite Bevölkerungskreise, vor allem die gebildeten Schichten und hier namentlich die jüngeren Akademiker, eine starke Faszination aus. Bismarcks koloniale Erwerbungen hatten, verglichen mit denen Englands und Frankreichs, nur bescheidene Ausmaße. Aber es gab viele Deutsche, die darin nur den Auftakt zu einer künftigen deutschen Weltpolitik und der Errichtung eines deutschen Überseeimperiums sahen – einer Politik, von der der Reichsgründer aus guten Gründen nichts wissen wollte.
    Im Dezember 1884, also am Ende des Jahres, in dem Deutschland in Afrika zur Kolonialmacht geworden war, trat in Berlin eine internationale Kongo- oder, wie es in der angelsächsischen Geschichtsschreibung noch heute heißt, Westafrikakonferenz zusammen. Als einzige nichteuropäische Macht nahmen die Vereinigten Staaten von Amerika an den Verhandlungen teil; als Berater ihrer Delegation wirkte der britisch-amerikanische Forschungsreisende Henry Morton Stanley mit, dessen Weltruhm darauf beruhte, daß er im Oktober 1871 nach achtmonatiger Suche im tiefsten Innern Afrikas den in Europa als verschollen geltenden britischen Missionar und Entdecker David Livingstone wiedergefunden hatte. («Dr. Livingstone, I presume», lautete die zum geflügelten Wort gewordene Begrüßungsformel Stanleys.) Er hatte in den Jahren zuvor im Auftrag Leopolds II., des Königs der Belgier, das riesige Kongobecken erkundet und dabei zahlreiche ahnungslose Häuptlinge überredet, ihr Land samt allen damit verbundenen Rechten Leopold, dem Präsidenten der weithin fiktiven Association Internationale du Congo, zu übertragen und diesem auch Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen.
    Die Berliner Konferenz markierte den Höhepunkt der kolonialpolitischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich. Mit der Unterstützung der USA durchkreuzten beide Mächte die Absicht Londons, das von England abhängige Portugal in den Besitz des Gebietes um die Kongomündung zu bringen. Großbritannien war in Berlin völlig isoliert und auch dadurch geschwächt, daß es in der Frage der internationalen Aufsicht über die ägyptischen Finanzen auf deutsche und französische Mitwirkung angewiesen war (die Verhandlungen der Großmächte wurden erst im März 1885 erfolgreich abgeschlossen). Infolgedessen mußte England die Bestätigung der französischen Ansprüche in Westafrika ebenso hinnehmen wie die internationale Anerkennung des von Leopold und Stanley geschaffenen, noch namenlosen Gebildes, aus dem im Mai 1885 der zu dauerhafter Neutralität verpflichtete Kongostaat, der état Indépendant du Congo, hervorging. Damit war Zentralafrika dem britischen Zugriff entzogen. Ein Erfolg für England war lediglich, daß die Berliner Kongoakte auf Verlangen Bismarcks für den Kongostaat den Grundsatz der Handelsfreiheit

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