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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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von Papst Leo XIII. durch die Enzyklika «Inter sollicitudines» vom Februar 1892 ermutigt, zur Anerkennung der Republik als der verfassungsmäßigen Staatsform bereit fanden. Drittens brachte der Bonapartismus die Sozialisten dazu, sich vom bürgerlichen Radikalismus zu emanzipieren und dem Aufbau einer eigenständigen Arbeiterbewegung zu widmen. Der Boulangismus mochte nur eine Episode gewesen sein, als Katalysator der französischen Politik aber hatte er Folgen, die bis weit ins 20. Jahrhundert hineinreichten.[ 22 ]
    Rechtsruck und Anarchismus: Das Italien der Ära Crispi
    Einen Ruck nach rechts erlebten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre nicht nur Deutschland und Frankreich, sondern auch Italien. 1887 ging die Regierung Depretis auf Drängen vor allem der norditalienischen Schwerindustrie zu einem System erhöhter Schutzzölle für Industrie- und Agrarprodukte über, dessen gesellschaftliche und innenpolitische Wirkungen denen der handelspolitischen Wende Deutschlands von 1879 vergleichbar waren: Vom Protektionismus profitierten sowohl die Stahl- und Eisenindustriellen als auch die Großagrarier, darunter die des «mezzogiorno», die von extensivem Weizenanbau lebten und darum ein starkes Interesse an der Abwehr der Einfuhr von billigerem Getreide aus Amerika und Rußland hatten. Die deutsche «Achse» von Rittergut und Hochofen besaß für Italien die Bedeutung eines Vorbildes, und wie im Deutschen Reich mußten auch hier in erster Linie die verarbeitenden Industrien und die Verbraucher die volkswirtschaftlichen Kosten der Abschirmung gegen internationale Konkurrenz tragen. Anders als in Deutschland wurden die Schutzzölle in Italien aber nicht durch eine umfassende staatliche Sozialpolitik flankiert, so daß der Klassencharakter der Schutzzölle hier noch deutlicher zutage trat als nördlich der Alpen.
    Die außenpolitische Wirkung der Schutzzollerhöhung war ein zehn Jahre währender Zollkrieg mit Frankreich, dem wichtigsten Handelspartner Italiens. Nachdem Paris eine Revision des neuen Tarifs verlangt hatte, kündigte Rom 1888 den bestehenden italienisch-französischen Handelsvertrag. Frankreich konnte den Wegfall italienischer Wein- und Seideneinfuhren jedoch sehr viel leichter verschmerzen als Italien den Verlust des französischen Absatzmarktes, so daß die neue Handelspolitik der Wirtschaft der Apenninenhalbinsel unter dem Strich sehr viel mehr schadete als nützte. Für Francesco Crispi, der von August 1887 bis Januar 1891 und dann erneut von Dezember 1893 bis März 1896 an der Spitze der italienischen Regierung stand, ergab der Zollkrieg mit Frankreich dennoch einen positiven Sinn: Er fügte sich gut in die Dreibundpolitik ein, durch die Italien zum Partner von Deutschland, Österreich-Ungarn und Großbritannien geworden war. Es waren diese Mächte, die nach Crispis Einschätzung Italien dabei helfen konnten, seinen Großmachtanspruch im Mittelmeerraum und in Afrika zu behaupten. Frankreich hingegen galt seit der Errichtung seines Protektorats über Tunis im Jahre 1881 als Rivale und Gegner.
    Die enge Bindung an die beiden mitteleuropäischen Großmächte war in Italien höchst umstritten. Für erhebliche Teile der «politischen Klasse» (der Begriff wurde 1896 von dem Staatsrechtler Gaetano Mosca geprägt) war das Habsburgerreich nach wie vor der «Erbfeind» Italiens und Frankreich ein potentieller Verbündeter im Kampf um die Angliederung der «Irredenta», der bei Österreich verbliebenen, italienisch geprägten Gebiete um Trient und Triest. Crispi hielt solche Gebietsforderungen für so gefährlich, daß er 1890 das irredentistische Comitato per Trieste e Trento in Rom auflösen ließ. Dasselbe Schicksal ereilte kurz darauf die Vereinigungen, die einen patriotischen Opferkult um Guglielmo Oberdan betrieben: Der dreißigjährige Irredentist aus Triest war im Dezember 1882 von den Österreichern zu Tode verurteilt und gehängt worden, nachdem sie durch einen agent provocateur von seinem Plan erfahren hatten, Kaiser Franz Joseph bei einem Besuch in Triest zu ermorden. Der Irredentismus aber ließ sich durch Verbote nicht aus der Welt schaffen: Dafür sorgte schon die anhaltende Agitation von Crispis schärfstem Kritiker Matteo Renato Imbriani-Poerio, dem wortgewaltigsten Verfechter des italienischen Anspruchs auf die «unerlösten Gebiete».
    In der inneren Politik Crispis erinnerte kaum noch etwas an die politischen Anfänge des einstigen sizilianischen Revolutionärs: Der Regierungschef

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