Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
drängte den Einfluß des Parlaments zurück und erweiterte die Befugnisse des Ministerpräsidenten; er übernahm selbst die Ämter des Außen- und des Innenministers, so daß seine Machtfülle zeitweilig der seines bewunderten Vorbildes Bismarck nahe kam; mit harter Hand ging er gegen streikende Industrie- und Landarbeiter, vor allem in der Lombardei, vor und verbot 1886 die vier Jahre zuvor gegründete italienische Arbeiterpartei, den Partito operaio italiano. Zu den positiven Errungenschaften der Ära Crispi gehörten die Abschaffung der Todesstrafe durch die Strafrechtsreform von 1889 und die Einführung der Wahl der Bürgermeister und der Präsidenten der Verwaltungsausschüsse der Provinzen (bislang waren die Amtsinhaber von der Regierung ernannt worden). Im Verhältnis zur katholischen Kirche kehrte Crispi, nachdem 1887 ein Versuch der Aussöhnung an Papst Leo XIII. gescheitert war, zum traditionellen Antiklerikalismus der Linksliberalen zurück. Demonstrativ ließ der Ministerpräsident auf dem Campo dei Fiori in Rom, wo im Jahre 1600 auf Beschluß der päpstlichen Inquisition nach siebenjähriger Kerkerhaft Giordano Bruno verbrannt worden war, ein Standbild des großen Philosophen und Naturwissenschaftlers errichten.
    Im Februar 1891 mußte Crispi zurücktreten. Unmittelbarer Anlaß war ein pauschaler Angriff, den der Ministerpräsident in einer Parlamentsrede auf die angeblich frankreichhörige Politik der Regierungen der Destra storica vor 1876 gerichtet hatte. Es folgten zwei kurzlebige Kabinette, zunächst eines des konservativen sizilianischen Marchese di Rudinì, dann, ab Mai 1892, des piemontesischen Liberalen Giovanni Giolitti, dessen «große Zeit» freilich erst nach der Jahrhundertwende begann. Im Dezember 1893 trat Giolitti zurück – die Folge einer Bankenkrise, die ihrerseits eng mit dem Zusammenbruch der Spekulation auf dem Bausektor und dem Niedergang der Seiden- und Weinausfuhr zusammenhing.
    Giolittis Nachfolge trat sein Vorvorgänger an. Seine innenpolitische Energie widmete Crispi nach der Rückkehr in die Regierung vor allem dem Kampf gegen die sizilianischen «Fasci» (Bünde): eine Bewegung der Schwefelarbeiter und der landarmen Kleinbauern (contadini), die beide unter dem Zollkrieg mit Frankreich schwer zu leiden hatten und ihren Protest auch gewaltsam zum Ausdruck brachten. Was die sizilianischen Unruhen den Regierenden besonders bedrohlich erscheinen ließ, war die Unterstützung der «Fasci» durch die im August 1892 in Genua gegründete neue Arbeiterpartei, den Partito dei lavoratori italiani, die sich wenig später in Partito socialista dei lavoratori italiani und schließlich auf dem Parteitag von Reggio Emilia im September 1893 in Partito socialista italiano umbenannte. Dem bürgerlichen und aristokratischen Italien trat damit erstmals eine proletarische Organisation gegenüber, die den Anspruch erhob, die gemeinsamen Interessen aller italienischen Arbeiter in Stadt und Land zu vertreten.
    Zur Wiederherstellung der Ordnung in Sizilien verhängte Crispi den Belagerungszustand. Ein Expeditionskorps von 50.000 Mann sorgte für die «Befriedung» der Insel. Die Anführer der «Fasci» wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. ähnlich drakonisch ging die Regierung gegen die streikenden Arbeiter in den Marmorsteinbrüchen von Carrara in der Toskana vor. Im Oktober 1894 wurde die Sozialistische Partei samt ihren Nebenorganisationen verboten und aufgelöst. Das Parlament trat seit der Wiederberufung Crispis nur noch zu kurzen Sitzungen zusammen. Bei den Wahlen vom Mai 1895 gelang es der Regierung nicht zuletzt dank des großzügigen Einsatzes von Steuergeldern, eine breite Mehrheit für das gouvernementale Lager sicherzustellen.
    Mit rein innenpolitischen Mitteln glaubte Crispi der sozialen Krise jedoch nicht dauerhaft Herr werden zu können. Um sein zunehmend autoritäres Regime zu stabilisieren, setzte der Ministerpräsident auf Prestigegewinn durch koloniale Eroberungen. Im Jahre 1890 war die Errichtung eines italienischen Protektorats über äthiopien daran gescheitert, daß der amharische Text des Vertrags von Uccialli, anders als der italienische, eine solche Auslegung nicht zuließ. Seit seiner Rückkehr an die Macht im Dezember 1893 tat Crispi alles, was in seinen Kräften stand, um in Ostafrika über den Status von 1890 hinauszugelangen. Zunächst schien dieses Vorhaben zu gelingen: Am 1. März 1895 zog der Gouverneur von Eritrea, Oreste Baratieri, wie Crispi ein

Weitere Kostenlose Bücher