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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Mitstreiter Garibaldis beim legendären «Zug der Tausend» von 1860, in Adua ein; noch am gleichen Tag erfolgte per Dekret die Annexion des äthiopischen Kernlandes, der Tigre. Der Jubel in Italien war groß – und der Regierung im Wahlkampf äußerst willkommen.
    Wenig später aber wendete sich das Blatt. Von Frankreich unterstützt, konnte der Negus Menelik die meisten Teilfürsten des Reiches auf seine Seite ziehen. Am 1. März 1896, auf den Tag genau ein Jahr nach dem Trimph Baratieris, fügten die zahlenmäßig weit überlegenen Streitkräfte Meneliks den Italienern bei Adua eine vernichtende Niederlage zu. Crispis Traum vom ostafrikanischen Kolonialreich war ausgeträumt, die Unabhängigkeit des christlichen Kaiserreiches äthiopien gerettet. Fünf Tage später bot Crispi König Umberto I. seinen Rücktritt an, den der Monarch unverzüglich annahm. Die Popularität des sechsundsiebzigjährigen Ministerpräsidenten war durch das Debakel von Adua so tief gesunken, daß an eine abermalige Rückkehr Crispis an die Macht nicht zu denken war.
    Die Ära Crispi war mehr als eine bloße Episode in der Geschichte des italienischen Nationalstaates. Crispis Rücktritt im Jahre 1896 bedeutete weder das Ende repressiver Antworten auf die soziale Frage noch die Abkehr von dem «sozialimperialistischen» Versuch, innere Konflikte nach außen abzulenken. Doch unter dem zweiten Kabinett Rudinì gab es 1896 immerhin Zeichen der innen- und außenpolitischen Mäßigung: Die verurteilten Arbeiterführer, auch die der sizilianischen «Fasci», kamen in den Genuß einer Amnestie; im Frieden von Addis Abeba verzichtete Italien auf den Vertrag von Uccialli aus dem Jahre 1889 und erkannte die Unabhängigkeit von äthiopien an, behielt jedoch das mit äthiopien über lange Zeit hinweg eng verbundene Eritrea. In einem Handelsvertrag mit Tunis erkannte Italien 1896 dessen Status als französisches Protektorat an und legte damit den Grund für einen neuen Handelsvertrag mit Frankreich, der 1898 den zehnjährigen Zollkrieg beendete.
    Die Klassenkonflikte aber wurden nach 1896 nicht weniger scharf ausgetragen als zuvor. Im März 1898 kam es, ausgelöst durch ein Duell, bei dem der linke Publizist und Parlamentarier Felice Cavallotti von der Kugel eines konservativen Abgeordneten getötet wurde, zu gewaltsamen Protestaktionen der Arbeiter in Mailand. Die Regierung verhängte sogleich den Belagerungszustand über die lombardische Metropole. Der mit der Niederwerfung der Unruhen beauftragte General Bava Beccaris setzte Artillerie ein und wurde, ungeachtet des von ihm angerichteten Blutbades, vom König mit einem Orden ausgezeichnet. Zu den zahllosen Verhafteten gehörten Filippo Turati, der Gründer der Sozialistischen Partei, aber auch bürgerliche Radikale und katholische Publizisten.
    Unter Rudinìs Nachfolger, dem General Girolamo Pelloux, rückte die Exekutivgewalt noch weiter nach rechts. Anfang 1899 legte Pelloux der Abgeordnetenkammer ein Bündel von Gesetzen vor, die ein Streikverbot im öffentlichen Dienst und Einschränkungen der Presse-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit vorsahen. Gegen dieses Vorhaben machte eine breite Opposition aus Liberalen, Republikanern und Sozialisten Front (die letzteren waren seit den Wahlen von 1897 mit 15 Abgeordneten im Parlament vertreten). Pelloux setzte daraufhin die Gesetze durch Dekret in Kraft, konnte es aber nicht verhindern, daß der Kassationsgerichtshof dieses Vorgehen als mit der Verfassung unvereinbar erklärte. Pelloux fügte sich und setzte für den Juni 1900 Neuwahlen an. Aus ihnen gingen die oppositionellen Kräfte, vor allem Radikale, Republikaner und Sozialisten, gestärkt hervor. Pelloux, der nur noch über eine schwache Mehrheit verfügte, zog die Konsequenz aus seinem Scheitern und trat zurück.
    Einen Monat später, am 29. Juli 1900, fiel König Umberto I. dem Attentat eines Anarchisten zum Opfer: ein Ereignis, das nicht nur Italien, sondern ganz Europa erschütterte. Der Anschlag wirkte als Glied einer Kette: 1894 hatten italienische Anarchisten den französischen Staatspräsidenten Sadi Carnot, 1898 die österreichische Kaiserin Elisabeth («Sissi»), die Gemahlin Franz Josephs, ermordet. Der Anarchismus war eine rückständige Form des Protestes, geboren aus rückständigen Verhältnissen, und in seiner gewaltsamen, terroristischen Form besonders verbreitet in den romanischen Ländern des Mittelmeerraums. Die italienischen Sozialisten hatten, wie ihre Schwesterparteien, dem

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