Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Von den großen Industriemagnaten gehörten John D. Rockefeller und Andrew Carnegie zu den bekennenden Sozialdarwinisten. Die umfassendste Begründung eines nicht mehr naturrechtlich oder theologisch, sondern sozialdarwinistisch verstandenen Individualismus legte 1883 William Graham Sumner, der an der Universität Yale Soziologie lehrte, in seinem Buch «What Social Classes Owe to Each Other» vor. Was die Ideen der Sozialdarwinisten in breiteren Kreisen populär machte, waren «Bound to Rise» und andere Romane von Horatio Alger, die den Mythos vom «self-made man» pflegten, der es schaffte, sich aus eigener Kraft von ganz unten nach ganz oben emporzukämpfen.
    Die Naturgesetze vom Kampf ums Dasein und vom überleben des Tüchtigsten galten nach Meinung nicht aller, aber der meisten Sozialdarwinisten nicht nur für Wirtschaft und Gesellschaft innerhalb der Staaten, sondern auch für die Beziehungen zwischen den Staaten. Nachdem die europäischen Großmächte mit dem «scramble for Africa» begonnen hatten, die noch nicht kolonialisierte Welt unter sich aufzuteilen, verbreitete sich in den Eliten der Vereinigten Staaten das Gefühl, daß Amerika an internationalem Einfluß verlieren würde, wenn es sich an diesem Wettkampf nicht beteiligte. Im Jahre 1890 veröffentlichte der Historiker und Admiral Alfred Thayer Mahan, der erste Präsident des Naval War College in New Port, Rhode Island, seine dort gehaltenen Vorlesungen in einem Buch mit dem Titel «The Influence of Sea Power upon History, 1660–1783». Zusammen mit anderen Werken legte dieses Buch das Fundament des «Mahanismus», einer Denkschule, die in einer starken Flotte ein Unterpfand nationaler Größe sah. Für die USA folgte aus den Einsichten Mahans vor allem eines: Sie mußten aus dem Pazifik ein «mare Americanum» machen, wenn sie ihre Handelsinteressen in der Südsee und im Fernen Osten, obenan dem zerfallenden Kaiserreich China, sichern und sich dort gegenüber anderen Großmächten behaupten wollten.
    Gänzlich neu war diese Erkenntnis freilich nicht. William Henry Seward, der Außenminister der Jahre 1861 bis 1869, hatte schon im Jahrzehnt des Bürgerkriegs die Zukunft der Handelsmacht USA im pazifischen Raum und in Asien gesehen und eben deshalb 1867, im gleichen Jahr, in dem er Rußland Alaska abkaufte, die Midway-Inseln, fast 2000 Kilometer westlich von Hawaii gelegen, für die Vereinigten Staaten erworben. Mit seinem Wunsch, auch Hawaii zu annektieren, drang Seward beim Senat nicht durch, aber er konnte darauf setzen, daß diese Forderung irgendwann erneut auf die Tagesordnung kommen würde. Immerhin hatte schon der zehnte Präsident der Vereinigten Staaten, John Tyler, 1842 die nach ihm benannte Doktrin formuliert, wonach das amerikanische Interesse an Hawaii stärker war als das aller anderen Staaten und die USA darum die Aufgabe hätten, die Unabhängigkeit der Inseln zu schützen und den Einfluß anderer Mächte fernzuhalten.
    Im amerikanischen Handel mit China spielte Hawaii seit langem eine bedeutende Rolle. Aber es gab auch noch andere Gründe für das amerikanische Interesse an den Inseln im Stillen Ozean. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hatten sich dort Kaufleute und Pflanzer aus den USA niedergelassen; amerikanische Missionare versuchten der polynesischen Bevölkerung das Christentum nahe zu bringen. Die überkommene Landwirtschaft wurde zunehmend durch Zuckerrohrplantagen ersetzt, die für den amerikanischen Markt produzierten. Im Januar 1893 stachelten die Plantagenbesitzer eine Revolution gegen die Königin Liliuokalanai, eine hawaiianische Nationalistin, an, die schließlich mit Unterstützung amerikanischer Marinesoldaten gestürzt wurde. Die neue, von den amerikanischen Plantagenbesitzern abhängige Regierung der Republik Hawaii trat sogleich in Verhandlungen mit Washington über eine Annexion der Inseln durch die USA ein.
    Der scheidende republikanische Präsident Harrison reagierte positiv, sein demokratischer Nachfolger Cleveland aber, der sein Amt im März 1893 antrat, lehnte die Annexion im Einklang mit dem immer noch antikolonialistischen Hauptstrom der öffentlichen Meinung ab. Fünf Jahre später gelangten die Annexionisten doch noch ans Ziel. Der Ende 1896 gewählte republikanische Präsident McKinley teilte die Bedenken seines demokratischen Vorgängers nicht. Unter dem Eindruck des Vordringens der europäischen Großmächte in China drängte er den Kongreß zur Ratifizierung des Annexionsvertrags.

Weitere Kostenlose Bücher