Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
1898 errichteten, 1902 auslaufenden Militärverwaltung taten die Vereinigten Staaten alles, um die Insel durch den Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern wie durch eine umfassende Reform von Verwaltung, Justiz und Steuersystem auf die «Unabhängigkeit» vorzubereiten. Ein souveränes Kuba wünschten die USA sich freilich nicht: Durch das «Platt-Amendment» von 1901 zwang der Kongreß die im November 1900 gewählte Verfassunggebende Versammlung und damit den künftigen kubanischen Staat zur Anerkennung amerikanischer Vorbehaltsrechte: Kuba durfte keine internationalen Verträge abschließen; es mußte den USA das Recht einräumen, zum Schutz der Unabhängigkeit des Landes wie des Lebens und des Besitzes amerikanischer Bürger zu intervenieren und Kohle- und Flottenstationen auf kubanischem Territorium zu kaufen oder zu pachten. Die Folge waren wiederkehrende Rebellionen, die ihrerseits amerikanische Interventionen auslösten. Wie in Puerto Rico wurde auch in Kuba unter amerikanischer Regie der Ausbau von Latifundien systematisch vorangetrieben. Wirtschaftlich eine Kolonie, politisch ein Protektorat der USA: Das Kuba, wie es aus dem amerikanischen Eingreifen in den Unabhängigkeitskampf hervorging, unterschied sich radikal von dem, wofür Vorkämpfer des «Cuba libre» wie José Martí ihr Leben eingesetzt hatten.
Am langwierigsten und blutigsten verlief die Unterwerfung der Philippinen. Mochte Kuba den Anstoß für den Krieg mit Spanien gegeben haben, so war doch die Herrschaft über die Philippinen für den harten Kern der amerikanischen Imperialisten das eigentliche Kriegsziel: Manila galt als das Tor zu Ostasien im allgemeinen und zu China im besonderen; wollten die USA in dieser Weltregion ein Wort mitreden, durften die Philippinen weder in spanischer Hand bleiben noch den Status eines souveränen Staates erlangen; sie mußten vielmehr amerikanisches Hoheitsgebiet werden. Die Annexion von Hawaii, die im Juli 1898 erfolgt war, gewann erst in diesem Zusammenhang ihre hohe strategische Bedeutung: Die neu erworbenen Inseln dienten, wie es der Völkerrechtler Theodore S. Woolsey, ein erklärter Antiimperialist, im Herbst 1898 ausdrückte, als «Sprungbrett zu den Philippinen». Nach Meinung des ehemaligen republikanischen Außenministers John W. Foster, eines bekennenden Imperialisten, hatte sich der Wert Hawaiis durch den Griff nach den Philippinen «verdoppelt».
Als den philippinischen Rebellen um Emilio Aguinaldo bewußt wurde, daß der spanischen Fremdherrschaft eine amerikanische folgen würde, entschlossen sie sich, die neuen Kolonialherren genauso verbissen zu bekämpfen wie in den Jahren zuvor die alten. Damit begann ein mehr als dreijähriger Guerillakrieg, bei dem die amerikanischen Truppen unter General Arthur MacArthur, insgesamt 126.000 Mann, nicht weniger brutal vorgingen, als es der spanische General Weyler auf Kuba getan hatte. Dörfer, in denen man Rebellen antraf, wurden niedergebrannt, die Bewohner in Konzentrationslagern zusammengepfercht, gefangene Unabhängigkeitskämpfer oft unterschiedslos erschossen, Informationen den Rebellen mit Mitteln der Folter wie der «water cure», einer Scheinertränkung, abgepreßt. Die Soldaten der Besatzungsarmee betrachteten die Filipinos, obwohl die meisten von ihnen in der spanischen Kolonialzeit zum katholischen Christentum bekehrt worden waren, als Wilde und den Krieg auf den Philippinen als Fortsetzung der Indianerkriege mit den gleichen Mitteln, wie sie im Kampf gegen Apatschen, Komantschen und Sioux angewandt worden waren. Der Krieg auf den Philippinen war der letzte Kolonialkrieg des 19. Jahrhunderts und zugleich der erste des 20. Jahrhunderts: ein Muster an Grausamkeit, geboren aus dem Gefühl rassischer Überlegenheit und dem Bewußtsein, daß «unzivilisierte» Völker kein Recht hatten, sich dem Herrschaftsanspruch eines zivilisierten Volkes in den Weg zu stellen.
Im März 1901 gelang es den Amerikanern, Aguinaldo gefangen zu nehmen. Das war der entscheidende Wendepunkt: Der Rebellenführer gab eine Loyalitätserklärung gegenüber den neuen Herren ab und rief seine Kampfgefährten auf, die Waffen niederzulegen. Es dauerte noch ein Jahr, bis die größeren Kämpfe aufhörten; zu vereinzelten Widerstandaktionen kam es noch bis 1906; sie wurden mit massiver Vergeltung beantwortet. Die Zahl der getöteten Filipinos wird auf mindestens 50.000 geschätzt, lag aber möglicherweise viel höher; die der gefallenen Amerikaner belief sich auf 4300.
Weitere Kostenlose Bücher