Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
«Jungfernrede» im Senat. Sie wurde zu einem nationalistischen und rassistischen Glaubensbekenntnis, wie es in dieser Radikalität im Oberhaus des Kongresses noch nicht zu hören gewesen war. Zugleich war die Rede eine Antwort auf die Chicagoer Erklärung der Anti-Imperialist League. Beveridge bezeichnete die Filipinos als Kinder, die noch auf lange Zeit nicht zur Selbstregierung fähig seien. Er relativierte die amerikanische Verfassung, indem er sie zu einem bloßen Instrument der Nation herabstufte, die allein unsterblich und heilig sei, und dieser Einschränkung die Feststellung hinzufügte, man könne eine Verfassung nicht verstehen, wenn man nicht die Rasse verstehe, die sie geschrieben habe.
Dann folgte eine Apotheose Amerikas und seines historischen Auftrags, die dem jungen Senator von Indiana, als er seine Rede schloß, Ovationen von den Zuhörertribünen eintrug. «Gott hat die englischsprachigen und teutonischen Völker über ein Jahrtausend lang auf anderes als auf vergebliche und eitle Selbstbetrachtung und Selbstbewunderung vorbereitet. Nein! Er hat uns zu den Meisterorganisatoren der Welt (master organizers of the world) gemacht, um Ordnung dorthin zu bringen, wo Chaos herrscht (to establish system where chaos reigns). Er hat uns den Geist des Fortschritts verliehen, um überall auf der Erde die Kräfte der Reaktion zu überwinden. Er hat uns zu Sachverständigen in Fragen der Regierung gemacht, damit wir unter wilden und altersschwachen Völkern (among savage and senile peoples) die Regierungsgeschäfte wahrnehmen können. Und aus unserer ganzen Rasse hat Er das amerikanische Volk als seine erwählte Nation (His chosen nation) dazu ausersehen, die Führung zu übernehmen bei der Wiedergeburt der Welt (the regeneration of the world). Dies ist die göttliche Mission Amerikas (the divine mission of America), und sie enthält für uns all den Nutzen, all den Ruhm, alles Glück, das den Menschen zuteil werden kann. Wir sind Treuhänder des Fortschritts der Welt, die Wächter ihres gerechten Friedens (We are trustees of the world’s progress, guardians of its righteous peace). Für uns gilt das Wort des Herrn: ‹Du bist über wenigem getreu gewesen; ich will dich über viel setzen.›»
Manche von Beveridges republikanischen Parteifreunden hielten den pathetischen Jingoismus des Senators für übertrieben und weder der Sache der «Grand Old Party» noch der Amerikas dienlich; ein republikanischer Senator, George Frisbie Hoar aus Massachusetts, hielt am 17. April 1900 im Senat eine entschieden antiimperialistische Rede, in der er für das Selbstbestimmungsrecht der Philippinen eintrat. Bei den Präsidentenwahlen vom November 1900 aber, die zu einem Plebiszit über das Für und Wider des amerikanischen Imperialismus wurden, siegte der Imperialist McKinley über den Antiimperialisten Bryan. Der republikanische Amtsinhaber erhielt 51,1 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen, sein demokratischer Herausforderer 47,7.
Die zweite Regierungszeit William McKinleys sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein. Am 14. September 1901 starb der Präsident an den Schußwunden, die ihm acht Tage zuvor ein aus Deutschland eingewanderter Anarchist polnischer Abstammung zugefügt hatte: das dritte Attentatsopfer unter den amerikanischen Präsidenten nach Abraham Lincoln im Jahre 1865 und James Abram Garfield, der 1881 nach nur vier Monaten im Amt einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war. McKinleys Nachfolge trat der zweiundvierzigjährige Vizepräsident Theodore Roosevelt an. Der bisher jüngste Präsident in der Geschichte der USA war ein Mann, von dem man erwarten konnte, daß er seinen Vorgänger an imperialistischer Entschiedenheit noch weit übertreffen würde.
Im Verlauf des Jahres 1902 wurde in den USA immer mehr über die Massaker der amerikanischen Armee auf den Philippinen bekannt; es fanden Verfahren vor dem Kriegsgericht und Anhörungen im Senat statt. Obwohl die Kämpfe nach der Gefangennahme Aguinaldos im Jahre 1901 allmählich abflauten, verfehlten die Berichte ihre abschreckende Wirkung nicht: Sie trugen wesentlich dazu bei, daß der philippinische Archipel die letzte territoriale Eroberung der USA und die koloniale Form des Imperialismus eine Episode der amerikanischen Geschichte blieb. Die Vereinigten Staaten besaßen seit 1898, wenn man Hawaii und Puerto Rico mitrechnete, drei größere Kolonien, aber kein Überseeisches Kolonial reich , das sich mit den spanischen und portugiesischen Kolonialimperien
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