Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
in der Lage waren, ihre innere Ordnung und nationale Souveränität aus eigener Kraft aufrechtzuerhalten. Damit sollte verhindert werden, daß europäische Mächte intervenierten, um lateinamerikanische Staaten zur Schuldenzahlung zu zwingen. (Zuletzt hatten das Deutschland und Großbritannien 1902/03 gegenüber Venezuela getan.) Das erste Land, in dem die Vereinigten Staaten ihren neu proklamierten Anspruch auf ein präventives Interventionsrecht exekutierten, war die von ständigen Krisen geschüttelte Dominikanische Republik, eine der wirtschaftlich von der amerikanischen United Fruit abhängigen mittelamerikanischen «Bananenrepubliken». 1905 Übernahmen die USA die Zollverwaltung des Landes und sicherten damit die Schuldenzahlung sowohl an die Union wie an europäische Gläubigerstaaten.
Im Jahre 1906 wurde zum sechsten Mal der von dem Erfinder des Dynamits, dem schwedischen Chemiker und Industriellen Alfred Nobel, gestiftete und nach ihm benannte Friedensnobelpreis verliehen. Bei der ersten Verleihung 1901 war Henri Dunant, der Gründer des Roten Kreuzes, ausgezeichnet worden, 1905 war es die österreichische Schriftstellerin und Pazifistin Bertha von Suttner, die Autorin des 1889 erschienenen Romans «Die Waffen nieder!» und Gründerin der österreichischen Friedensgesellschaft. Ihr unmittelbarer Nachfolger war Theodore Roosevelt. Er erhielt den Preis nicht für das, was er in der unmittelbaren südlichen Nachbarschaft der USA bewirkt hatte, sondern wegen seiner Verdienste als Friedensstifter im russisch-japanischen Krieg von 1905. Der Präsident hatte die Rolle des Vermittlers auf Bitten Japans übernommen und bei den Friedensverhandlungen in Portsmouth, New Hampshire, nicht nur eine Verständigung zwischen den beiden kriegführenden Parteien erreicht, sondern auch die Gelegenheit genutzt, um Japan in einem Geheimabkommen zur Öffnung seines Marktes für amerikanische Produkte zu bewegen. Als Japan wenig später in den von ihm kontrollierten Gebieten die Einfuhr aus den USA unterband, schickte Roosevelt, um das ostasiatische Inselreich nachdrücklich an seine Verpflichtungen zu erinnern, 16 Kriegsschiffe, die sogenannte «Weiße Flotte», auf eine Weltreise. Die Station, um die es dabei in erster Linie ging, war Japan.
Das harte Auftreten Roosevelts gegenüber anderen Staaten förderte, da es von Erfolg gekrönt war, die Popularität des Präsidenten in den USA. Das galt in besonderem Maß für den «Riff incident» im Wahljahr 1904. Am 18. Mai war in Marokko ein Mann namens Ion Perdicaris, angeblich ein amerikanischer, in Wirklichkeit ein griechischer Staatsbürger, zusammen mit seinem englischen Stiefsohn von dem Briganten Muley Hamid El Raisuli, einem Stammesführer der Rif-Kabylen, entführt worden. Roosevelt schickte, um Stärke zu demonstrieren, mehrere Schiffe der Kriegsmarine, die sich ohnehin auf dem Weg nach Europa befanden, nach Marokko. An den amerikanischen Generalkonsul in Tanger erging die knappe telegrafische Weisung des Außenministers John Hay: «Perdicaris alive or Raisuli dead». Als das Telegramm auf der republikanischen Convention in Chicago verlesen wurde, kannte die Begeisterung der Delegierten keine Grenzen. Die «Kanonenboot-Diplomatie» schien sich auszuzahlen: Am 24. Juni wurde der Entführte freigelassen. Tatsächlich ging dieses glimpfliche Ende der Affäre auf französische Vermittlung und eine Lösegeldzahlung Marokkos zurück.
Im November 1904 fanden die Präsidentschaftswahlen statt. Roosevelt gewann sie souverän, ja mit dem besten Ergebnis aller bisherigen amerikanischen Präsidenten: Er erhielt 57 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen; sein Vorsprung gegenüber dem Kanidaten der Demokraten, dem konservativen New Yorker Richter Alan B. Parker, belief sich auf 2,5 Millionen Stimmen. Roosevelt war ein charismatischer Präsident, der es verstand, unterschiedlichste Gruppen der Gesellschaft anzusprechen und zeitweilig hinter sich zu bringen. Als er in sein Amt gelangte, galt er als konservativer Heißsporn. In seiner praktischen Politik aber trat er den Interessen von «big business» mehr als einmal scharf entgegen. 1902 zwang er anläßlich eines langen Streiks der United Mine Workers die Arbeitgeber der Anthrazitkohleindustrie unter Drohung des Einsatzes von Bundestruppen, eine unparteiische Schlichtung durch den Bund zu akzeptieren: Das Ergebnis waren eine Lohnerhöhung um 10 Prozent und die Einführung des Neunstundentages. Roosevelt sprach von einem «square
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