Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Kongresse wurde, schon wegen seiner Nähe zum Jiddischen, der Sprache ostmitteleuropäischer Juden, als «lingua franca» den Vorrang einräumen. Die Juden sollten Land bestellen, Industrien ansiedeln und einen modernen, säkularen, demokratischen Staat errichten, in dem die Frauen, anders als im zeitgenössischen Europa und Amerika, über das aktive und passive Wahlrecht verfügten: Das war die Botschaft, die Herzl in «Altneuland» verkündete.
«Wir sind ein Volk – der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu, wie das immer in der Geschichte so war»: Diese Prämisse des «Judenstaats» löste den Protest vieler Juden aus, die sich als Österreicher, Deutsche, Briten oder Franzosen empfanden, welche sich von ihren nichtjüdischen Landsleuten nur durch ihre Religion unterschieden. Aus Herzls Sicht war hingegen die jüdische Religion nichts, was die Juden zusammenhielt, sondern voneinander trennte. «Herzls Pläne waren ein Produkt der Emanzipation und der Assimilation des 19. Jahrhunderts», schreibt Michael Brenner. «Im Grunde genommen akzeptierte er beide Prozesse und wollte sie nur vervollständigt wissen. Die Emanzipation sei deswegen gescheitert, weil die Juden zwar individuelle Rechte erhielten, aber keine kollektiven Rechte. Diese seien nur durch das gleiche Mittel zu erreichen, das jeder anderen Nation zustehe: einen eigenen Staat. Die Errungenschaften der Assimilation wiederum wollte er in diesen Staat, diese Schweiz mitten im Orient, eingebracht sehen. Sein Konzept war keine Rückkehr in die voremanzipatorische Zeit, sondern ein Ausbau der Emanzipation außerhalb Europas, aber im europäischen Sinne.»
Die stärkste Zustimmung fand die Parole vom Judenstaat unter den osteuropäischen Juden, denen Emanzipation und Assimilation bisher verwehrt worden waren. Als Ende August 1897 in Basel der erste Zionistische Kongreß mit über 200 Delegierten aus 20 Ländern zusammen trat, kamen allein 65 Delegierte aus dem Zarenreich; dazu traten noch russische Juden, die in anderen Ländern studierten und arbeiteten. Eine der östlichen Hochburgen der zionistischen Bewegung war Odessa, wo die Juden mit 140.000 Menschen ein Drittel der Bevölkerung stellten. Einer ihrer intellektuellen Wortführer war Ascher Ginzburg, bekannter unter dem Pseudonym Achad Ha’am, der sich in einem wesentlichen Punkt von Herzl unterschied und schließlich gegenüber diesem durchsetzen sollte. Um nochmals Brenner zu zitieren: «Herzl wollte einen Judenstaat, Achad Ha’am einen jüdischen Staat. Beide stimmten überein, daß dies kein religiöser Staat werden sollte, aber während Achad Ha’am eine neubelebte hebräische Kultur als Zentrum der neuen jüdischen Gesellschaft anstrebte, schrieb Herzl: ‹Kein hebräischer Staat – ein Judenstaat, wo’s keine Schande, ein Jud zu sein› … Wo Herzl die Juden retten wollte, versuchte Achad Ha’am das Judentum zu retten … Herzl war der Pragmatiker, dessen politische Bemühungen seine Art des Zionismus auch als politischen Zionismus kennzeichneten, während der um ein geistiges Zentrum bemühte Achad Ha’am mit dem Begriff des kulturellen Zionismus identifiziert wurde.»
Herzl konnte behaupten, in Basel 1897 den Judenstaat gegründet zu haben. Aber er war nicht der erste Zionist. Bereits 1862 hatte Moses Heß, ein zeitweiliger Weggefährte von Karl Marx, sein Buch «Rom und Jerusalem» vorgelegt, in dem er das Judentum nicht als Religion, sondern als Nationalität definierte. Zwei Jahrzehnte später, 1882, veröffentlichte der Arzt Leon Pinsker aus Odessa auf deutsch seine Schrift «Auto-Emancipation», in der er die Selbstemanzipation der Juden als Nation forderte. Den Begriff «Zionismus» benutzte 1890 als erster der von Pinsker beeinflußte Wiener Schriftsteller Nathan Birnbaum, der Gründer der Zeitschrift «Selbstwehr». Zum Zeitpunkt des Basler Kongresses gab es in Palästina schon 19 jüdische Siedlungen. Anfang des 19. Jahrhunderts hatten dort etwa 10.000 Juden, die «Alte Jischuw», gelebt; die Gesamtbevölkerung Palästinas wird für diese Zeit auf 150.000 bis 300.000 Menschen geschätzt. Um 1870 gehörten etwa 25.000 Menschen zur «Alten Jischuw», von denen jedoch viele aus Europa und der arabischen Welt kamen.
Die erste größere Einwanderungswelle aus Osteuropa setzte mit den russischen Pogromen von 1881 und der Diskriminierung der Juden in Rumänien ein, das Juden grundsätzlich die Staatsbürgerschaft verweigerte; diese «Erste Alija» wird bis 1904 datiert und gilt
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