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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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war Lueger erst zum Vizebürgermeister, dann zum Bürgermeister von Wien gewählt worden, hatte jedoch, weil er sich nur auf eine relative Mehrheit im Gemeinderat stützen konnte, auf die Annahme der Wahl verzichtet. Nach einem klaren Wahlsieg der Christlichsozialen im Herbst 1895 erhielt er bei der Bürgermeisterwahl die absolute Mehrheit, wurde aber auf Grund rüder Attacken auf die in Ungarn regierenden, von ihm als «Judäomagyaren» beschimpften Liberalen durch Kaiser Franz Joseph nicht ernannt. Es folgten Massendemonstrationen für Lueger auf den Wiener Straßen, eine Auflösung des Gemeinderats und im Februar 1896 Neuwahlen, die den Christlichsozialen einen weiteren Stimmenzuwachs und Lueger im April die erneute Wahl zum Bürgermeister einbrachten. Auf Drängen des Kaisers begnügte sich Lueger ein Jahr lang nominell mit dem Amt des Vizebürgermeisters, bis er 1897 schließlich zum Bürgermeister ernannt wurde. Die «Ära Lueger», die jetzt erst richtig begann und bis zum Tod des Volkstribuns im März 1910 dauerte, war ein frühes Beispiel für das, was man später als kommunale Gemeinwirtschaft bezeichnet hat: Zu ihren Merkmalen gehörten die Stadterneuerung und die Anlage von Parks und Waldgürteln, die Überführung der Verkehrs- und Versorgungsunternehmen in kommunale Regie, der Bau von öffentlichen Bädern, Krankenhäusern und Fürsorgeanstalten.
    Die Lueger-Krise der Jahre 1895 bis 1897 fiel zum größten Teil zusammen mit der Regierungszeit des aus Polen stammenden Grafen Kasimir Badeni. Kaiser Franz Joseph hatte den Statthalter von Galizien im November 1895 zum Ministerpräsidenten ernannt, nachdem zuvor der unmittelbare Nachfolger Taaffes, Fürst Alfred von Windischgrätz, am Widerstand der Deutschliberalen gegen ein örtliches schulpolitisches Zugeständnis an die Slowenen gescheitert war. Wie die Vorgängerkabinette bemühte sich die Regierung Badeni um eine Wahlrechtsreform, für die mit besonderem Nachdruck Victor Adlers Sozialdemokraten eintraten. Was Badeni durchsetzte, blieb jedoch weit hinter dem von den Sozialdemokraten geforderten allgemeinen gleichen Wahlrecht zurück: Zu den bestehenden vier Kurien des Abgeordnetenhauses des Reichsrats trat eine fünfte hinzu, zu der alle Staatsbürger, die das 24. Lebensjahr vollendet hatten, wahlberechtigt waren. Dieser Kurie gehörten aber nur 72 der insgesamt 425 Mitglieder der zweiten Kammer des Reichsrats an.
    Bei den Wahlen vom März 1897 gelangten erstmals auch die Sozialdemokraten in den Reichsrat: Sie erhielten 15 Mandate. Die Christlichsozialen kamen, alle Kurien zusammengerechnet, auf 26, die «Alldeutschen» um den ins Parlament zurückgekehrten Schönerer auf 5, die Deutsche Volkspartei der gemäßigten Deutschnationalen auf 41, verschiedene deutschliberale Gruppen auf 78 Mandate. Daneben gab es noch 31 Abgeordnete der Konservativen der deutschen Kronländer und einen christlich-slawischen Verband mit 35 Mitgliedern. Die stärkste nichtdeutsche Gruppe bildeten die Tschechen, auf die 60 Mandate entfielen.
    Kurz nach der Wahl versuchte sich die Regierung um einen nationalen Ausgleich in Gestalt der Sprachenverordnungen für Böhmen vom 5. April und für Mähren vom 22. April 1897. Diese verlangten für alle Gerichts- und Verwaltungsbehörden Doppelsprachigkeit und von allen Beamten und Richtern die Kenntnis des Deutschen und des Tschechischen in Wort und Schrift. Im Reichsrat gab es dafür die politische Rückendeckung einer Mehrheit, aber die deutschen Oppositionsgruppen versuchten sogleich, unterstützt von außerparlamentarischen Protestaktionen in den deutschsprachigen Gebieten Böhmens, in Prag, Wien und Graz, durch Tumulte und Obstruktion die Außerkraftsetzung der Verordnungen zu erzwingen. Sogar aus dem Deutschen Reich meldeten sich, auf Ersuchen der Alldeutschen, Gegner der Sprachenverordnung, unter ihnen der greise Theodor Mommsen, zu Wort.
    Ihren Höhepunkt erreichte die Badeni-Krise Ende November 1897, als auf Grund einer staatsstreichartigen Änderung der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses die Polizei mehr als ein Dutzend Parlamentarier aus dem Plenarsaal entfernte und die Unruhe dadurch noch weiter steigerte. In Wien erklärte Bürgermeister Lueger, daß er angesichts der Massendemonstrationen Ruhe und Ordnung in der Hauptstadt nicht mehr gewährleisten könne. In Graz gab es bei den Straßenprotesten am späten Abend des 27. November zwei Tote. Einige Stunden zuvor hatte Kaiser Franz Joseph bereits die Demission Badenis

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