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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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geprägtes Land mit Landarbeitern als größter gesellschaftlicher Klasse. 58 Prozent der berufstätigen Portugiesen waren in der Landwirtschaft, 25 Prozent in der Industrie, 17 Prozent im Dienstleistungssektor beschäftigt. Fast 70 Prozent der Bevölkerung, die 1911 5,5 Millionen Menschen zählte, waren Analphabeten.
    Wie in Spanien hatte sich auch in Portugal im späten 19. Jahrhundert ein parlamentarisches Zweiparteiensystem herausgebildet: Die konservativen «Regeneradores» und die liberalen «Progressistas» wechselten sich in der Regierungsbildung ab. Daneben gab es ein starkes, vom Freimaurertum gestütztes republikanisches Lager, das sich durch den Sturz des Kaisertums der Braganza in Brasilien im Jahre 1889 ermutigt fühlte, das Königtum derselben Dynastie auch im Mutterland zu Fall zu bringen. Der Terrorismus trug in Portugal den Stempel der wieder erstandenen Geheimorganisation der Carboneria, die über ein ausgedehntes Agentennetz verfügte. 1901 spaltete sich von der konservativen Partei ein Flügel mit diktatorischen Neigungen ab; fünf Jahre später trennte sich eine radikale und revolutionäre Richtung von der liberalen Partei. Die Kundgebungen gegen die Monarchie mehrten sich; im April 1906 meuterten die Matrosen eines Kriegsschiffes, des Kreuzers «Don Carlos», was auf wachsende Unzufriedenheit im schlecht besoldeten Militär verwies; die Finanzlage war, nicht zuletzt infolge der anhaltenden Kämpfe in den portugiesischen Kolonien in Afrika, aufs äußerste angespannt; ein Staatsbankrott schien kurz bevorzustehen.
    Im Jahr 1907 tat König Carlos I. den Schritt, vor dem Alfons XIII. von Spanien im Oktober 1909 zurückschreckte: Im Anschluß an eine Regierungskrise ermunterte er den zurückgetretenen Ministerpräsidenten João Franco, im Amt zu bleiben und mit diktatorischen Mitteln zu regieren. Franco folgte dem Aufruf und versuchte Reformen mit Dekreten durchzusetzen. Der Widerstand von Konservativen und Republikanern war jedoch so massiv, daß ihm der Erfolg versagt blieb. Ein Aufstandsplan der Republikaner unter Führung des radikalen Abgeordneten Alfonso Costa wurde der Polizei verraten. Am 1. Februar 1908 aber schlugen die Carbonari zu: König Carlos und der Kronprinz wurden, als sie in der offenen Kutsche durch Lissabon fuhren, von Attentätern aus der Verschwörerorganisation erschossen. Eine Aufklärung der Hintergründe des Anschlags unterblieb; selbst die öffentliche Rechtfertigung der Mordtat wurde von Regierung und Polizei tatenlos hingenommen.
    Dem neuen König, Manuel II., gelang es nicht, die Lage zu stabilisieren. Die Republikaner bereiteten systematisch den Sturz der Monarchie vor und wußten dabei die Marine und weite Teile des Heeres, darunter die meisten jüngeren Offiziere, auf ihrer Seite. Am 4. Oktober 1910 brach die Revolution aus; das königliche Schloß wurde von der Kriegsmarine bombardiert; einige Regimenter des Heeres liefen zu den Aufständischen über. Da das alte Regime ohne großen Widerstand zusammenbrach und die Provinz die Ereignisse in der Hauptstadt apathisch hinnahm, konnte bereits am 5. Oktober die Republik proklamiert werden. Eine Beruhigung der inneren Lage aber trat nicht ein. Im November wurde Portugal durch eine Streikwelle erschüttert; Gewalttaten gegen Kirchen und Klöster wurden zu alltäglichen Ereignissen. Die republikanische Regierung löste sämtliche katholischen Orden auf, beschlagnahmte die Kirchengüter, schaffte die kirchlichen Feiertage und den Religionsunterricht in den Schulen ab. Im April 1911 verabschiedete das Parlament neben einer Verfassung ein Gesetz über die Trennung von Staat und Kirche; 1913 wurde der päpstliche Nuntius ausgewiesen. Die republikanische Verfassung von 1911 lehnte sich an die brasilianische Verfassung von 1891, teilweise auch an die Verfassungen der dritten französischen Republik und der Schweiz an.
    Größere Erfolge waren der Republik nicht beschieden. Rigorose Wahlrechtsbeschneidungen machten es der Bevölkerung unmöglich, sich in Parlament und Regierung wiederzuerkennen: Die Zahl der Wahlberechtigten lag im Durchschnitt der Jahre 1910 bis 1926 bei knapp 10 Prozent. In dieser Zeit wurden 44 Regierungen gebildet, 7 Parlamente und 8 Staatspräsidenten gewählt; es fanden 20 Aufstände und Staatsstreiche und allein in Lissabon 300 Bombenexplosionen statt. Portugal wurde, mit anderen Worten, immer mehr zu dem, was man heute einen «failing state» nennt – eine Entwicklung, die mit einer gewissen inneren

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