Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Däninnen und Dänen, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten, besaßen nunmehr das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Folketing; wenn sie älter als 35 Jahre waren, galt das auch für das Landsting; von den 72 Mitgliedern wurden 54 von Gemeinden und Kreisen indirekt gewählt, 18 wurden vom Landsting kooptiert. Eine fortschrittlichere Verfassung gab es um diese Zeit in Europa nicht.
Auch in Schweden schlossen sich die Bauern zu einer politischen Partei, die Landmannaparti von 1867, zusammen. 1889 wurde die Sozialdemokratische Partei, die Sveriges Socialdemokratiska Arbetarparti, gegründet; ihr Vorsitzender Hjalmar Branting erhielt 1897 erstmals ein Mandat in der Zweiten Kammer. Das Wahlrecht bei den Wahlen zur Zweiten Kammer war nach der geltenden Verfassung, der Reichstagsordnung von 1866, an Grundbesitz beziehungsweise Steuerleistungen gebunden. Ein Generalstreik für die Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts, zu dem die Sozialdemokraten zusammen mit dem von ihnen geführten, 1898 gegründeten Gewerkschaftsbund im Mai 1902 aufriefen, führte zwar zu einem vorübergehenden Stillstand des Wirtschaftslebens, aber nicht zu dem erhofften politischen Ergebnis.
Nach den Wahlen von 1905, die den Liberalen einen großen Erfolg brachten, betraute König Oskar II. den liberalen Parteiführer Karl Albert Staaff mit dem Amt des Ministerpräsidenten, was den endgültigen Übergang zur parlamentarischen Monarchie bedeutete. Staaff bemühte sich vergeblich um eine Wahlrechtsreform nach englischem Vorbild und trat nach knapp siebenmonatiger Amtszeit im Mai 1906 zurück. Unter seinem Nachfolger Arvid Lindman, einem Politiker der gemäßigten Rechten, wurde ein Gesetzentwurf erarbeitet, der das allgemeine gleiche Männerwahlrecht für die Zweite Kammer und die Stadtvertretungen vorsah, die ihrerseits die Mitglieder der Ersten Kammer, des Landsting, wählten. Der folgende, im Jahr 1909 gewählte Reichstag nahm das Wahlgesetz endgültig an.
Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts förderte bei den Sozialdemokraten die Wendung vom Marxismus zum Reformismus. Die Sozialgesetzgebung nahm bald darauf «sozialdemokratische» Züge an, was besonders für die allgemeine Volksaltersversorgung von 1913 galt. Die Landwirtschaft war infolge einer schweren Agrarkrise, ausgelöst durch den Import von preiswertem Getreide aus Nord- und Südamerika, Ende des 19. Jahrhunderts vom Ackerbau zur Veredelungswirtschaft und zum Anbau von Zuckerrüben übergegangen. Nach 1890 erlebte die schwedische Industrie einen starken Aufschwung, wobei neben der Holzverarbeitung die Eisenproduktion und die Maschinenbauindustrie eine bedeutende Rolle spielten. Um 1910 war rund ein Drittel (32 Prozent) der erwerbstätigen Bevölkerung in Industrie, Bergbau und Handwerk und nur noch knapp die Hälfte (49 Prozent) in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Anteil der Stadtbewohner an der Bevölkerung stieg zwischen 1865 und 1900 von 12 auf 22 Prozent. Die bäuerliche Prägung der politischen Kultur aber blieb noch lange erhalten: Selbst der Begriff «Volksheim» (folkhem), der nach 1918 zu einem sozialdemokratischen Schlagwort wurde, hatte Wurzeln, die in die bäuerlich-konservative Reformbewegung des frühen 20. Jahrhunderts zurückreichten.
Bis 1905 war Schweden mit Norwegen durch eine Union verbunden, die mehr war als eine reine Personalunion: Beide Länder waren durch die norwegische Verfassung vom November 1814 auf eine gemeinsame Außenpolitik und ein gemeinsames Militär festgelegt. Früher als Schweden entwickelte Norwegen ein relativ festgefügtes Parteiensystem, in dem zunächst die Linke (Venstre) den Ton angab. Zu einem Konflikt mit dem König kam es, als dieser 1872 der norwegischen Regierung sein Vertrauen bekundete, nachdem ihr das Unterhaus des Storting, das Lagting, das Mißtrauen ausgesprochen hatte. Erst 1884 gab Oskar II. dem norwegischen Drängen auf ein parlamentarisches System nach: Er beauftragte den Wahlsieger von 1882, den Führer der Venstre, Johan Sverdrup, mit der Regierungsbildung. Dieser bildete ein Kabinett der gemäßigten Linken. Damit war der Übergang zur parlamentarischen Monarchie vollzogen. Zu den wichtigsten Neuerungen der Folgezeit gehörte der Aufbau einer eigenen Miliz, was ein klarer Ausdruck des Willens der Norweger war, die Union mit Schweden aufzulösen und das Land in einen unabhängigen Nationalstaat zu verwandeln.
1883 wurde der Norwegische Gewerkschaftsbund, 1885 eine Sozialdemokratische
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