Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
das zerstrittene Parlament auflöste; Ende Dezember rief General Arsenio Martinez Campos in Sagunta den Sohn der 1868 gestürzten und nach Frankreich emigrierten Königin Isabella II. als Alfons XII. zum König aus. Die Restauration der Bourbonenherrschaft war von dem konservativen Politiker Antonio Cánovas del Castillo vorbereitet worden, der 1875 das Amt des leitenden Ministers übernahm. Die erste Aufgabe des neuen Königs war die Niederwerfung der «Carlistas», der Anhänger des Sohnes des 1855 verstorbenen Thronprätendenten Don Carlos de Borbón im dritten und letzten Karlistenkrieg, der im Februar 1876 mit dem Sieg der königlichen Truppen zu Ende ging. Alfons XII., der schon im Januar 1875 bei seinem Einzug in der Hauptstadt von der Madrider Bevölkerung begeistert gefeiert worden war, galt fortan als der «pacificador», der Befrieder Spaniens.
Im Juni 1876 erhielt Spanien eine neue Verfassung. Sie bezeichnete in Artikel 11 die «katholische, apostolische, römische Religion» als Staatsreligion; ihre Zeremonien und öffentlichen Kundgebungen waren die einzig zugelassenen. Dem gleichen Artikel zufolge durfte aber niemand auf spanischem Gebiet wegen seiner religiösen Meinungen und der Ausübung seines Kultus belästigt werden, sofern er die «der christlichen Moral schuldige Ehrfurcht» walten ließ. Ansonsten enthielt die Verfassung die klassischen Freiheitsrechte und blieb damit auf der Linie der vorangegangenen Verfassung von 1869. Das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit war in der Verfassung verankert; in der Praxis hieß das parlamentarische Monarchie: Der Ministerpräsident vertrat die jeweilige Mehrheit der Cortes. Das Wahlgesetz von 1878 gestand das aktive Wahlrecht allen männlichen Spaniern zu, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten und Grund- beziehungsweise Gewerbesteuer in einer bestimmten Höhe zahlten oder einer höheren Berufsgruppe angehörten. 1890 erfolgte der Übergang zum allgemeinen gleichen Wahlrecht, gegen das Cánovas sich lange gesträubt hatte. Die Demokratisierung des Wahlrechts änderte zunächst aber nichts an der Tatsache, daß auch weiterhin die «Kaziken», die Ortsgewaltigen, bei der Kandidatenaufstellung und bei der Wahl den Ton angaben – und von den Parteigängern in Parlament und Regierung dann die Erfüllung lokaler Wünsche in sachlicher und personeller Hinsicht einfordern konnten.
Unter der Restauration bildete sich ein Zweiparteiensystem heraus: Die konservative Partei stand unter der Führung Cánovas’, die liberale unter der von Práxedes Mateo Sagasta. Beide wechselten sich seit 1881 im Amt des Ministerpräsidenten ab. Nach der Ermordung von Cánovas durch einen italienischen Anarchisten am 8. August 1897 im Badeort Santa Agneda trat der konservative Politiker Francisco Silvela an die Spitze der Regierung. Nach den Wahlen von 1901 übernahm wieder Sagasta das Amt des Ministerpräsidenten. Im Jahr darauf starb der Führer der Liberalen.
Der Anarchismus war im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in wenigen Ländern Europas so weit verbreitet wie in Spanien. In der Federación Regional Española hatten sich nach der Spaltung und der Auflösung der Ersten Internationale im Jahre 1876 die Anhänger Bakunins gesammelt; sie war zeitweilig die größte spanische Arbeiterorganisation. Auf ihr Konto gingen eine Reihe von Attentaten, darunter zwei, 1878/79, auf König Alfons XII., der beide Male unverletzt blieb. Der König starb im November 1885, aber nicht an den Folgen eines Anschlags, sondern an Lungentuberkulose; bis zur Thronbesteigung seines posthum geborenen Sohnes, Alfons’ XIII., im Jahre 1902 stand Königin María Cristina als Regentin an der Spitze des Staates.
In den achtziger und neunziger Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt des anarchistischen Terrors nach Katalonien. Am 24. September 1893 wurde General Martínez Campos in Barcelona bei einem Attentat verletzt. Sechs Wochen später warf ein Anarchist, als Antwort auf die inzwischen erfolgte Hinrichtung des Attentäters vom 24. September, während einer Aufführung von Rossinis «Wilhelm Tell» im Barcelonaer «Teatro Liceo» eine Bombe, die 20 Menschen tötete. Blutig verlief auch ein Terroranschlag auf die Fronleichnamsprozession am 7. Juni 1896 in der katalonischen Hauptstadt: Eine Bombe tötete sechs Menschen und verletzte 42 schwer. Der Mörder von Cánovas gab als Motiv seiner Tat an, er habe Rache üben wollen für die Folterung und Hinrichtung der Anarchisten, die im Zusammenhang
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