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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Nationalversammlung, die Frankreich bis heute prägen, gehört die territoriale und administrative Neuordnung des Landes. An die Stellen der alten Provinzen traten im Januar 1790 83 Departements, die meist nach Flüssen und Gebirgen benannt wurden, ihre Hauptstadt jeweils in der Mitte der neuen Verwaltungseinheit hatten und ihrerseits in Distrikte und Kantone gegliedert waren. Die Konstituante wollte damit, ganz in der Tradition des Ancien régime, dem regionalen Partikularismus entgegenwirken. Aber im Unterschied zum Absolutismus strebten die Delegierten der Assemblée nationale nicht eine Zentralisierung, sondern eine Dezentralisierung an: Die Departements sollten sich selbst verwalten, ihre wohlhabenden Bürger auf Grund eines Zensuswahlrechts einen ehrenamtlichen Rat und dieser ein besoldetes Direktorium wählen. Niedriger waren die sozialen Hürden in den Kommunen, die ihre Behörden in direkter Wahl bestellten.
    Die Dezentralisierung blieb freilich bloße Absicht: Anders als die Engländer und die Amerikaner hatten die Franzosen keinerlei Erfahrung in Sachen Selbstverwaltung. Dazu kamen die Gegensätze zwischen Freunden und Gegnern der Revolution, die Spannungen zwischen der Hauptstadt und den Regionen und der zunehmende Druck von außen, von seiten des konservativen Europa. Bereits im Jahre 1792 kehrte Frankreich zur Zentralisierung und damit zu der Richtung zurück, die das Land unter Richelieu in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eingeschlagen hatte. An die Stelle der königlichen Intendanten traten elf Jahre nach dem Beginn der Französischen Revolution die Präfekten, die von Paris eingesetzten Chefs der Departementalverwaltung. Alexis de Tocqueville hat diese bemerkenswerte Verbindung von ahistorischer Neuordnung und historischer Kontinuität in dem Verdikt zusammengefaßt, «daß die Zentralisation in der Revolution nicht untergegangen ist, weil sie selbst der Anfang dieser Revolution und ihr Vorzeichen war … Die Zentralisation fand in der Gesellschaft, die sich durch die Revolution gebildet hatte, so selbstverständlich ihren Platz, daß man sie leicht als eines ihrer Ergebnisse auffassen konnte.»[ 7 ]
    In der Logik des Absolutismus, aber auch von Rousseaus Theorie des allgemeinen Willens lagen auch zwei Gesetze, die die Nationalversammlung in der ersten Hälfte des Jahres 1791 beschloß: Am 2. März verabschiedete sie die Loi d’Allarde, die alle Gilden, Innungen und Zünfte abschaffte, am 14. Juni die Loi Le Chapelier, die die Bildung von Assoziationen der Arbeiter untersagte und als Streikverbot bis 1864, als Koalitionsverbot sogar bis 1884 in Kraft blieb. Einen «Sonderwillen» zu artikulieren erschien der Konstituante als illegitim, weil unvereinbar mit dem allgemeinen Interesse, wie sie es verstand und in Gesetzesform brachte. Was für Handwerksmeister, Gesellen und Arbeiter galt, traf natürlich erst recht für den Adel zu, den es zu dieser Zeit formell freilich schon gar nicht mehr gab: Im Juni 1790 hatte die Nationalversammlung den Erbadel und damit alle Adelstitel beseitigt. Der Anspruch des Dritten Standes, der allgemeine Stand zu sein, wurde damit nochmals nachdrücklich unterstrichen.
    Die augenfälligste Verbindung zwischen dem revolutionären Frankreich und dem Ancien régime blieb der König. Die Verfassung, die am 3. September 1791 von der Nationalversammlung verabschiedet wurde, nannte die Souveränität «einzig, unteilbar, unveräußerlich und unaufhebbar» (une, indivisible, inaliénable et imprescriptible), um dann, ähnlich wie schon die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, fortzufahren: «Sie steht der Nation zu; keine Sektion des Volkes, keine einzige Person kann sich die Ausübung derselben zueignen. Die Nation, von welcher alle Arten der Gewalten ausgehen, kann sie nur durch Übertragung ausüben.»
    Die französische Konstitution wurde ausdrücklich als «repräsentativ» bezeichnet. «Ihre Repräsentanten sind die gesetzgebende Körperschaft und der König.» Für die Regierungsform verwandte die Verfassung den Begriff «monarchisch». Die Person des Königs war unverletzlich und geheiligt (inviolable et sacrée); sein einziger Titel war «König der Franzosen». Er stand nicht über dem Gesetz, denn gemäß der Verfassung gab es «in Frankreich keine Autorität, die über dem Gesetz steht. Der König regiert nur durch dieses. Und nur im Namen des Gesetzes kann er Gehorsam verlangen.»
    Bei seiner Thronbesteigung oder bei Erreichung der Volljährigkeit

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