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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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de Mirabeau, der nach der Abschaffung der Adelstitel im Juni 1790 nur noch Riqueti hieß und am 2. April 1791 verstarb. Aber angesichts der Persönlichkeit Ludwigs XVI. lief dieser Vorschlag auf eine wechselseitige Blockade von Legislative und Exekutive und, da dieser Zustand nicht hinnehmbar war, letztlich auf einen Bürgerkrieg hinaus. Es gab auch beredte Fürsprecher eines Zweikammersystems nach englischem Muster wie Jean-Joseph Mounier, der an der Seite Mirabeaus für das absolute Veto gefochten hatte und sich nach dem Scheitern seiner Bemühungen, schon im Frühjahr 1790, ins Exil in die Schweiz begab. Aber nachdem der Dritte Stand sich zum allgemeinen Stand erklärt und die revolutionsfreundlichen Vertreter der ersten beiden Stände, des Klerus und des Adels, in sich aufgenommen hatte, hätte ein Oberhaus nur eine antirevolutionäre Kammer sein oder zumindest als solche wahrgenommen werden können.
    Infolgedessen gab es 1789 objektiv keine Möglichkeit für ein Zweikammersystem. Die Verfechter eines Einkammersystems wie der Abbé Sieyès und der Philosoph Jean Marie Antoine Condorcet, beide zugleich entschiedene Gegner eines absoluten Vetos des Königs, hatten die Logik der Verhältnisse auf ihrer Seite. Der Geist Rousseaus hatte mithin von Anfang an sehr viel bessere Aussichten, auf die Deputierten der Konstituante einzuwirken, als der Geist Montesquieus. Robert R. Palmer, der 1955 die Amerikanische und die Französische Revolution mit guten historischen Gründen unter den Begriffen der «demokratischen Revolution» und der «Revolution der westlichen Zivilisation» zusammengefaßt hat, und ebenso wie Jacques Godechot von einer «Atlantischen Revolution» spricht, urteilt zu Recht: «In Frankreich waren die Voraussetzungen für eine Verfassung nach amerikanischem Vorbild nicht gegeben … Im Verlauf der Französischen Revolution gelang es den Franzosen nie, das Problem der Beziehung von Exekutive und Volksvertretung befriedigend zu lösen. Es ist sogar fraglich, ob es ihnen später gelang … Natürlich war eine gemäßigte Revolution wünschenswert, aber sie lag nicht im Bereich des Möglichen.»[ 10 ]
    Als Ludwig XVI. am 14. September 1791 seinen Eid auf die elf Tage zuvor verabschiedete erste Repräsentativverfassung Europas leistete, war die Konstitutionalisierung der Bourbonenmonarchie der Form nach abgeschlossen. In Wirklichkeit aber waren die Grundlagen des Königtums längst aufs schwerste erschüttert. Am 20. Juni war der König mitsamt seiner Familie aus Paris geflohen, wenige Tage später jedoch bei Varennes in den Argonnen, nahe der Grenze zum habsburgischen Belgien, erkannt und in die Hauptstadt zurückgebracht worden.
    Die Folgen der vereitelten Flucht waren auf den ersten Blick widersprüchlich: Auf der einen Seite erhielten die radikalen Kräfte in den politischen Clubs und den Volksgesellschaften Auftrieb, die die Monarchie abschaffen und die Republik ausrufen wollten. Auf der anderen Seite waren Flucht und erzwungene Rückkehr des Königs für die Gemäßigten in der Konstituante ein Ansporn, um nun erst recht für die Staatsform einzutreten, in der sie ein Bollwerk gegen die weitere Radikalisierung sahen: die konstitutionelle Monarchie. Gewissermaßen in letzter Stunde wurde die Verfassung nochmals revidiert: Verfassungsänderungen sollten nur dann in Kraft treten, wenn sie von den drei folgenden Legislativen bestätigt wurden.
    Die von Lafayette befehligte Nationalgarde handelte auf Weisung der Nationalversammlung, als sie am 17. Juli eine antimonarchistische Versammlung auf dem Marsfeld gewaltsam auflöste und dabei etwa 50 Demonstranten tötete. Die Kluft zwischen den Deputierten und den städtischen Massen wurde durch diesen Zusammenstoß noch tiefer. In den Worten von Ernst Schulin: «Die Einigkeit zwischen Lafayette und der Konstituante wurde erkauft durch den Riß zwischen der Konstituante und den Volksgesellschaften.» Als sich am 27. August im sächsischen Pillnitz der österreichische Kaiser Leopold II. und der preußische König Friedrich Wilhelm II. in Gegenwart der emigrierten Brüder Ludwigs XVI. mit dem französischen König solidarisch erklärten, Frankreich für die Sicherheit der Königsfamilie haftbar machten und, wenn auch noch in allgemeiner und unverbindlicher Form, eine Bereitschaft zur Intervention erkennen ließen, bewirkte das in Frankreich keine Beruhigung, sondern das Gegenteil: Die Polarisierung der Gesellschaft schritt weiter voran.
    Die Jakobinerclubs befanden

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