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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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mußte der König schwören, «der Nation und dem Gesetz treu zu sein, alle ihm übertragene Macht zur Aufrechterhaltung der durch die verfassunggebende Nationalversammlung in den Jahren 1789, 1790 und 1791 beschlossenen Verfassung anzuwenden und die Gesetze ausführen zu lassen». Eine Weigerung, diesen Eid zu leisten, sollte als Abdankung gewertet werden. Die höchste ausübende Macht war ausschließlich in die Hände des Königs gelegt. Wie am 11. September 1789 von der Konstituante beschlossen, stand ihm ein suspensives Veto gegen Dekrete der Nationalversammlung für die Dauer von zwei Legislaturperioden zu. Die Eingangsformel bei der Bekanntmachung von Gesetzen machte deutlich, daß die Nationalversammlung das Amt des Monarchen aus einer doppelten Legitimationsquelle ableitete: Der jeweilige Träger der Krone war demzufolge «von Gottes Gnaden und durch das Verfassungsgesetz des Staates König der Franzosen» (par la grâce de Dieu, et par la loi constitutionelle de l’état, roi des Français).[ 8 ]
    Der Widerspruch zwischen beiden Legitimationen der monarchischen Gewalt war, wie die Dinge lagen, ein absoluter: Er konnte nur durch einen Sieg des Königs über die Nationalversammlung oder durch einen Sieg der Nationalversammlung über den König aufgelöst werden. Ludwig XVI. aus dem Haus der Bourbonen war kein zweiter Wilhelm III. von Oranien, der 1688/89 als Vollstrecker eines revolutionären Programms, der Ziele der Glorious Revolution, auf den englischen Thron gelangt war. Ludwig war das Ancien régime, das es zu überwinden galt. Ein Königs- und Dynastiewechsel im Jahre 1789, etwa zugunsten des Herzogs Louis Philippe II. von Orléans, eines Mitglieds der Nationalversammlung, das nicht ohne Grund «Philippe égalité» genannt wurde, hätte das Königtum durch eine wirkliche, von seinem Träger bejahte Umwandlung der absoluten in eine konstitutionelle Monarchie vielleicht retten können. Aber es gab in Frankreich 1789 niemanden, der bereit und willens war, die richtigen Schlüsse aus der englischen Erfahrung ein Jahrhundert zuvor zu ziehen. Infolgedessen war der endgültige Zusammenstoß zwischen König und Nationalversammlung nur eine Frage der Zeit.
    Tocqueville hat einen Wandel der Zielsetzungen und der ideengeschichtlichen Leitbilder im Verlauf der Französischen Revolution feststellen zu können gemeint: «Zu Beginn wird nur davon gesprochen, wie die Gewalten besser ausgewogen, die Beziehungen der Klassen besser geregelt werden können, bald aber geht, läuft, jagt man der Idee der reinen Demokratie nach. Zu Anfang wird Montesquieu zitiert und ausgelegt, zum Schluß spricht man nur noch von Rousseau; er ist der einzige Lehrmeister der Revolution in ihrer Blütezeit geworden und wird es bleiben …»[ 9 ]
    Für Tocquevilles Deutung spricht zunächst das ausdrückliche Bekenntnis der Konstituante zur Trennung von gesetzgebender, ausführender und rechtsprechender Gewalt. Doch es wäre kühn zu behaupten, daß die Mehrheit der Delegierten Montesquieu wirklich verstanden hat. Auf den «Geist der Gesetze» konnten sich die Parlamentarier noch berufen, als sie die Unabhängigkeit der dritten Gewalt durch die Volkswahl der Richter zu sichern versuchten. Aber die Art und Weise, wie die Konstituante das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive regeln wollte, hätte schwerlich die Billigung Montesquieus gefunden.
    Die großen Machtbefugnisse des Königs standen in einem unaufhebbaren Gegensatz zu dem Anspruch der Nationalversammlung, der einzige «pouvoir constituant» und damit die Stimme der Nation zu sein. Es gab weder eine vermittelnde Instanz zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt noch ein legislatives Gegengewicht zur Nationalversammlung in Gestalt einer ersten Kammer. Und auch das aufschiebende Veto des Monarchen konnte nicht als Beherzigung von Montesquieus Grundgedanken der wechselseitigen Ausbalancierung der Gewalten gelesen werden. Es war vielmehr ein Faktor der Konfliktverschärfung: Im Falle der Anwendung des suspensiven Vetos war die Nationalversammlung geradezu verpflichtet, aus Neuwahlen ein- oder auch zweimal einen «appel au peuple», eine Mobilisierung der Wähler gegen den Monarchen, zu machen.
    In der Debatte der Konstituante hatte es durchaus Stimmen gegeben, die mehr Gegengewichte zur Macht der Nationalversammlung forderten. Nicht wenige Deputierten setzten sich, wie schon dargelegt, für ein absolutes Veto des Königs ein – unter ihnen Honoré Gabriel de Riqueti Comte

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