Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
verzichtete, die Teilstrecke von Basra bis zum Persischen Golf zu bauen und die britische Vorherrschaft am Golf ausdrücklich anerkannte. Ein frontaler Zusammenstoß zwischen den beiden Großmächten war dadurch unwahrscheinlicher geworden – vorausgesetzt, Deutschland betrieb eine Politik, die England nicht zwang, seine Bündnispflichten gegenüber seinen Partnern in der Tripelentente zu erfüllen.[ 34 ]
Sarajewo und die Folgen: Von der Julikrise zum Ersten Weltkrieg
So wie Großbritannien in seiner Außenpolitik die Interessen Frankreichs und Rußlands berücksichtigen mußte, so Deutschland die Österreich-Ungarns. (Der dritte Dreibundpartner, Italien, hatte sich mittlerweile so sehr den Mächten der Tripelentente angenähert, daß es fraglich war, ob man in Berlin und Wien im Ernstfall mit seiner Unterstützung würde rechnen können.) Die Donaumonarchie aber war durch ihre inneren Krisen so geschwächt, daß es überall in Europa, und nicht zuletzt innerhalb des Habsburgerreiches selbst, begründete Zweifel an ihren Überlebenschancen gab. Einen gewissen Zusammenhalt des Vielvölkerreiches verbürgte außer der Macht der Gewohnheit, dem Militär und der Bürokratie nur noch der Mann, der seit dem Dezember 1848 an der Spitze der Donaumonarchie stand: Kaiser Franz Joseph, der am 18. August 1913 dreiundachtzig Jahre alt geworden war. Eine solche Macht als einzigen wirklichen Bundesgenossen zu haben, war bei nüchterner Betrachtung nichts, was die Deutschen mit Zuversicht erfüllen konnte.
Von allen zwischenstaatlichen Beziehungen, die Österreich-Ungarn unterhielt, waren die zu Serbien die prekärsten. Am Ende der beiden Balkankriege standen die Donaumonarchie geschwächt und Serbien gestärkt da. Zwar hatte Wien im Oktober 1913 Belgrad zum Abzug seiner Truppen aus Albanien gezwungen, aber mit seinem Ultimatum nur Erfolg gehabt, weil es nicht nur von Deutschland und Italien, sondern in diesem Fall auch von Großbritannien unterstützt wurde. Wenn das Recht einmal weniger eindeutig auf der Seite der Donaumonarchie lag, durfte Serbien auf die Unterstützung des Zarenreiches setzen: Der russische Gesandte in Belgrad, Nikolaj Hartvig, ein überzeugter Panslawist, wurde nicht müde, das den Verantwortlichen der serbischen Politik zu versichern.
Die Vergrößerung Serbiens, die der Friede von Bukarest im August 1913 gebracht hatte, war nach der Einschätzung serbischer Nationalisten nur eine Abschlagszahlung auf das erstrebte «Großserbien». Es sollte nicht nur die Siedlungsgebiete der Serben, sondern auch die der Kroaten umfassen, die ja nahezu dieselbe Sprache sprachen, wenn sie sie auch in lateinischen und nicht wie die Serben in kyrillischen Buchstaben schrieben, ja alle südslawischen Völker, also auch Mazedonier, Montenegriner und Slowenen einschließen. In Bosnien und der Herzegowina, wo die muslimischen Bosnier den orthodoxen Serben und erst recht den katholischen Kroaten zahlenmäßig überlegen waren, sahen die Ideologen des großserbischen Nationalismus ein unerlöstes Gebiet. Es so schnell wie möglich dem Mutterland anzuschließen war das revolutionäre Ziel der 1911 gegründeten Geheimorganisation «Ujedinjenje ili smrt» (Vereinigung oder Tod), bekannter unter dem Namen «Crna ruka» (Schwarze Hand) und der eng mit ihr verbundenen Studentenvereinigung «Mlada Bosna» (Jung-Bosnien).
Der Kopf der «Schwarzen Hand» und Koordinator der militärischen Ausbildung der großserbischen Revolutionäre war der Chef des serbischen Geheimdienstes, der Oberst im Generalstab Dragutin Dimitrejevic, der in scharfem Gegensatz zum Ministerpräsidenten Nikola Pašic stand. Ob oder inwieweit Mitglieder der serbischen Regierung und möglicherweise auch die russische Ochrana in die terroristische Tätigkeit der «Schwarzen Hand» verwickelt waren, ist eine bis heute nicht geklärte und wohl nicht mehr klärbare Frage. Sicher ist, daß die «Schwarze Hand» die Aktionen von «Jung-Bosnien» lenkte. Das gilt auch für das Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar am 28. Juni 1914 in Sarajewo – verübt am 525. Jahrestag der blutigen Schlacht auf dem Amselfeld, aus der die serbischen Nationalisten einen nationalen Gründungsmythos gemacht hatten.
Den Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin, die zur Herzogin von Hohenberg erhobene Gräfin Sophie Chotek, in der aufgeheizten Atmosphäre des Sommers 1914 im offenen Wagen durch die bosnische Hauptstadt fahren zu lassen war nicht nur leichtfertig, es war in
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