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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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vor allem eine strategische Entscheidung Berlins, die England im Ernstfall als unmittelbare Bedrohung seiner Sicherheit hätte empfinden müssen: Im Jahre 1905 hatte sich Deutschland auf den nach dem damaligen Generalstabschef Alfred Graf von Schlieffen genannten Plan festgelegt, das französische Heer unter Umgehung des Festungsgürtels von Belfort bis Verdun von Norden her anzugreifen und niederzuwerfen, was einen Durchmarsch durch das neutrale Belgien erforderte. Der Schlieffenplan war ein Triumph des militärischen über das politische Denken: Wenn deutsche Truppen die Grenzen Belgiens überschritten, war der Kriegseintritt Großbritanniens unausweichlich.
    Bethmann Hollweg war nicht der Meinung der deutschen «Kriegspartei», daß Deutschland den Krieg brauchte, um seine innenpolitischen Probleme zu lösen, das heißt die Sozialdemokratie ausschalten oder zumindest nachhaltig schwächen zu können. Er war vielmehr überzeugt, daß die sozialdemokratische Arbeiterbewegung aus einem Krieg, wie immer er enden mochte, gestärkt hervorgehen würde. Sehr viel mehr konnte Bethmann Hollweg dem Argument des Militärs abgewinnen, daß Deutschland 1914 größere Siegeschancen hatte als in einigen Jahren, wenn die Mächte der Tripelentente und vor allem Rußland dank ihrer Rüstung noch sehr viel stärker sein würden als jetzt.
    Den großen Krieg hielt der Kanzler Anfang Juli 1914 noch nicht für unvermeidbar: Wich Rußland zurück, wäre das für die Mittelmächte ein großer diplomatischer und politischer Erfolg gewesen. Aber daß das Zarenreich klein beigeben würde, war keineswegs sicher. Der Reichskanzler ließ sich auf ein hochgefährliches Spiel ein, als er dem Verbündeten am 6. Juli einen Blankoscheck ausstellte und ihn zur Eile mahnte. Vermutlich wäre er nicht mehr lange im Amt geblieben, hätte er anders gehandelt: Bei der Rechten galt Bethmann Hollweg ohnehin als Zögerer, ja als Schwächling, der den Herausforderungen der Zeit nicht gewachsen war. Doch der Druck, der vom Kaiser und vom Militär, vor allem vom Generalstabschef von Moltke, ausging, war im Juli 1914 so massiv, daß sich ihm auch ein stärkerer Reichskanzler kaum erfolgreich hätte widersetzen können.
    In Wien gab es zwei Wochen nach dem Doppelmord von Sarajewo keine Akteure mehr, die nicht zur «Kriegspartei» gehörten. Der einzig verbliebene Skeptiker, der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza, saß in Budapest und hatte auf die Außenpolitik der Donaumonarchie nur geringen Einfluß. Die deutsche Rückendeckung war eine entscheidende Hilfe für jene, die seit langem in einem Krieg gegen Serbien das einzige Mittel sahen, das die Habsburgermonarchie noch retten konnte. Verzichtete Wien auf die Ausschaltung Serbiens, hörte es auf, eine ernstzunehmende Großmacht zu sein; der Zerfall des Vielvölkerreiches war dann nur noch eine Frage der Zeit: Aus dieser Einschätzung heraus ergab sich die Politik, die Österreich-Ungarn in der Julikrise betrieb.
    Mit dem Ultimatum an Belgrad aber ließ sich Wien viel Zeit – bis zum 23. Juli, dem letzten Tag eines Besuches der beiden führenden Repräsentanten Frankreichs, Präsident Poincaré und Ministerpräsident Viviani, in St. Petersburg. Um 18 Uhr, eine Stunde nach der Abreise der Pariser Delegation, überreichte der österreichische Gesandte der Belgrader Regierung die Wiener Forderungen. (Die Reichsleitung in Berlin kannte die Bedingungen bereits seit dem Nachmittag des 22. Juli). Das Ultimatum war auf die Demütigung Serbiens abgestellt. Unter Berufung auf das Ergebnis der österreichischen Untersuchung des Attentats von Sarajewo wurde Serbien die Verfolgung und Bestrafung der Hintermänner des Anschlags, die Auflösung nationalistischer Organisationen wie der «Volksverteidigung» (Narodnaja Odbrana) und eine Garantie zukünftigen politischen Wohlverhaltens abverlangt. österreichische Organe sollten, was einen tiefen Eingriff in die Souveränität des Königreichs Serbien bedeutete, an der Unterdrückung der gegen die Doppelmonarchie gerichteten Propaganda mitwirken. Die Belgrader Antwort wurde innerhalb von 48 Stunden erwartet.
    «C’est la guerre européenne» (Das ist der europäische Krieg): Mit diesen Worten kommentierte der russische Außenminister Sasonow am 24. Juli die Wiener Note. Um Zeit zu gewinnen, bat St. Petersburg die anderen europäischen Mächte, die Regierung der Doppelmonarchie, ebenso wie Rußland es tun wollte, zu einer Verlängerung der Serbien gesetzten Frist zu

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