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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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wurde aber nochmals vermieden, weil zum einen England, der Protektor und Kontrolleur der türkischen Marine, zu einer vorbehaltlosen Unterstützung Rußlands nicht bereit war und zum anderen Deutschland sich aus Rücksicht auf die Beziehungen zu Großbritannien kompromißwillig zeigte. Liman von Sanders blieb zwar Generalinspekteur der türkischen Armee und wurde überdies zum Feldmarschall des Osmanischen Reiches befördert, gab aber Mitte Januar 1914 das Kommando über das in Konstantinopel stationierte 1. Armeekorps auf. St. Petersburg schrieb dieses Zugeständnis seinem entschlossenen Auftreten zu und ließ von weiteren Forderungen an Deutschland und die Türkei ab.
    Der Friede war fürs erste gerettet, der russische Ministerpräsident Kokowzow aber wurde wegen fehlender Fortune im Januar 1914 zum Rücktritt gezwungen. Seine Nachfolge trat Iwan Longinowitsch Goremykin an, der dieses Amt bereits 1906 als unmittelbarer Vorgänger Stolypins einige Monate lang innegehabt hatte und in liberalen Kreisen als reaktionärer Bürokrat galt. Außenminister blieb Sergej Dimitrijewitsch Sasonow, den die Liman-von-Sanders-Krise in der Überzeugung bestätigte, daß ein Krieg mit den Mittelmächten nicht mehr lange zu vermeiden sein würde. Nach wie vor hatte er aber Zweifel, ob Rußland dafür militärisch bereits stark genug war.
    Der diplomatischen Krise folgte eine deutsche Pressekampagne, an der das Auswärtige Amt aktiven Anteil nahm. Am 2. März 1914 erschien unter der Überschrift «Rußland und Deutschland» in der «Kölnischen Zeitung», einem der Schwerindustrie nahestehenden Blatt, ein vom Petersburger Korrespondenten der Zeitung verfaßter Artikel, der großes Aufsehen erregte, weil er als offiziös inspiriert galt. In St. Petersburg, hieß es da, spreche man jetzt offen aus, daß Rußland zum Krieg gegen Deutschland rüste. «Für Rußlands amtliche Politik ist und bleibt als Hindernis für rückhaltlos gute Beziehungen zu Deutschland ihre Abhängigkeit von Frankreich bestehen.» Bei der jüngsten Krise hätten die Leiter der russischen Politik «unter französischem Einfluß eine Nervosität an den Tag gelegt», die deutlich beweise, daß die korrekten Beziehungen keinerlei Belastungsprobe aushielten. Noch bluffe man in Rußland. Doch unterliege es keinem Zweifel, «daß wenigstens die amtliche Führung der deutsch-russischen Beziehungen ein ganz anderes Gesicht bekäme, wenn die Herren wüßten, daß sie künftighin nicht immer mit Entgegenkommen von deutscher Seite, sondern mit einem festen Willen zu rechnen hätten, daß das Angefangene unbedingt durchgeführt würde, unbekümmert um Nervositäten und Verärgerungen.»
    Der «Alarmruf» der «Kölnischen Zeitung» fand ein überwiegend zustimmendes Echo bei anderen Zeitungen der Rechten, aber auch bei solchen des Zentrums und selbst im liberalen «Berliner Tageblatt», in dem ein Anonymus am 9. März sogar die Notwendigkeit eines Präventivkrieges gegen das militärisch immer stärker werdende Rußland nicht ausschließen wollte. Der Leipziger Historiker Karl Lamprecht, der gute Beziehungen zum Kaiser wie zum Kanzler unterhielt, sah die Rassen an die Stelle der Nationen treten und Deutschland und Rußland in der Rolle von «Führern von Rassen», nämlich Germanen und Slawen. Daß ein Großteil der russischen Zeitungen ihrerseits heftige, zum Teil ebenfalls von amtlicher Seite inspirierte Angriffe auf Deutschland richtete, trug wesentlich zum Eindruck eines regelrechten «Pressekrieges» bei. Der sozialdemokratische «Vorwärts», sonst einer der stärksten Kritiker des zarischen Regimes, sah im konkreten Fall gleichwohl die deutsche Seite als den Aggressor an: «Hatte man jahrelang den deutsch-englischen Krieg für unausbleiblich erklärt und Jahr für Jahr die Verstärkung der Flotte gefordert, wird jetzt Rußland für den kriegsbereiten Feind erklärt. Die Rüstungstreiber brauchen eben beständig einen Popanz, um die nötige Angst zu erzeugen, in der auch ihre wahnwitzigsten Forderungen bewilligt werden.»
    Während sich das Verhältnis zu Rußland seit der «Liman-von-Sanders-Krise» dramatisch verschlechtert hatte, trat in den deutsch-britischen Beziehungen im Frühsommer 1914 eine Wende zum Besseren ein. Am 5. Juni schlossen beide Mächte nach langwierigen Verhandlungen ein Abkommen über die Bagdadbahn. Großbritannien sicherte dem umstrittenen deutschen Engagement im Osmanischen Reich seine Unterstützung zu, wofür das Reich im Gegenzug darauf

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