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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Zerstörung von Paris und die Hinrichtung der «Verbrecher».
    Hätten die Urheber des Aufrufs die Absicht verfolgt, die französische Monarchie zu stürzen und das Leben Ludwigs XVI. und seiner engsten Angehörigen in höchste Gefahr zu bringen, dann wäre die Veröffentlichung eines solchen Textes überaus zweckmäßig gewesen. Tatsächlich bewirkte das Manifest des Herzogs von Braunschweig das Gegenteil des Gewollten. Die Sektionen forderten nunmehr ultimativ die Absetzung des Königs durch die Legislative. Als diese bis zum 9. August dem Drängen nicht nachkam, fand am folgenden Tag, von Robespierre und seinen politischen Freunden sorgfältig vorbereitet, der zweite Sturm auf die Tuilerien innerhalb von zwei Monaten statt.
    Anders als am 20. Juni siegten diesmal die Revolutionäre auf der ganzen Linie. Der König hatte sich mit seiner Familie zuvor zum Sitz der Nationalversammlung begeben und unter deren Schutz gestellt. Danach begann ein schreckliches Gemetzel: Die Schutztruppe des Königs, die Schweizergarde, schoß in die Menge und tötete etwa hundert Aufständische, darunter viele Föderierte aus den Provinzen; 270 Demonstranten wurden verwundet. Die Rache der Radikalen war furchtbar: Die meisten der 600 Verteidiger wurden, nachdem sie sich schon ergeben hatten, getötet, viele sogar noch nach ihrer Gefangennahme. Der Erstürmung des Schlosses folgten Szenen von unbeschreiblicher Grausamkeit. Was Augenzeugen darüber berichteten, löste vor allem jenseits der französischen Grenzen fassungsloses Entsetzen aus.
    Das Königtum wurde noch am 10. August von der Nationalversammlung suspendiert, die königliche Familie im neuen Staatsgefängnis, dem Temple, gefangengesetzt. Tags darauf nahm eine provisorische Regierung mit Danton als Justizminister die Arbeit auf. Unmittelbar danach begannen die Vorbereitungen für die Wahlen zu einem Verfassunggebenden Nationalkonvent auf der Grundlage des allgemeinen gleichen Wahlrechts für Männer. Die Legislative hatte keine politische Bedeutung mehr und wurde am 20. September aufgelöst. Am gleichen Tag fand die Kanonade von Valmy statt, mit der der Vormarsch der Revolutionstruppen bis zum Rhein begann. Berühmt wurde das militärisch eher unbedeutende Treffen durch einen Ausspruch Goethes, der seinen Landesherrn, Herzog Carl August von Sachsen-Weimar, zur «Kampagne in Frankreich» begleitet hatte: «Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabeigewesen.» Am folgenden Tag, dem 21. September 1792, trat der Konvent zu seiner ersten Sitzung zusammen und beschloß die Abschaffung des Königtums. Frankreich verwandelte sich durch diesen Beschluß in eine Republik.
    Auf dem Weg zu diesem revolutionären Akt lag ein Ereignis, das an Grausamkeit die Erstürmung der Tuilerien noch weit übertraf: die Septembermorde. Es handelte sich dabei nicht um spontane Ausschreitungen des Pariser Mobs, sondern um organisierten Massenterror, angestiftet von Journalisten des «Orateur du peuple» sowie von Marats Zeitung, dem «Ami du peuple», und ausgeführt von Krämern und Handwerkern aus den Vorstädten. Ihre Opfer waren zwischen 1100 und 1400 Häftlinge in den Gefängnissen der Hauptstadt, darunter viele eidverweigernde Priester, meist aber gewöhnliche Kriminelle, die man mit konterrevolutionären Umtrieben allenfalls dadurch in Verbindung bringen konnte, daß in den Gefängnissen Assignaten gefälscht wurden. Die Feinde der Revolution sollten in Angst und Schrecken versetzt werden: Ein anderer Sinn ließ sich den blutigen Tagen vom 2. bis 6. September 1792 nicht abgewinnen. Das Echo, das die Morde in Europa und Amerika fanden, war einhellig: Diese Revolution tat offenbar alles, um ihre eigenen Ideale in den Schmutz zu ziehen.
    Furet und Richet sprechen im Hinblick auf den Sommer 1792, vor allem den Tuileriensturm vom 10. August, von einem Entgleisen (dérapage) der Revolution. Gemeint ist das überhandnehmen der gesellschaftlich eher rückwärtsgewandten, unbürgerlichen, zum politischen Aktionismus neigenden auf Kosten der fortschrittlichen, bürgerlichen, rationalen Kräfte, für die die Revolution der Deputierten stand. Eine solche Kräfteverschiebung fand 1792 statt, aber sie wird nicht durch die Feststellung erklärt, die Revolution sei damals von ihrem Weg abgekommen. Man muß den Ereignissen zwischen Juni und September 1792 keine Zwangsläufigkeit bescheinigen, aber eine gewisse innere Logik hatte die Schwächung der

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