Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
auf der einen Seite, den zahlreichen ins Ausland emigrierten Aristokraten, die ganz gezielt auf den Krieg hinarbeiteten, und den antirevolutionären Mächten des alten Europa auf der anderen Seite. Angesichts der fehlenden militärischen Vorbereitungen in Frankreich hielt er eine Niederwerfung der Revolution für durchaus wahrscheinlich.
    Brissot hatte für Robespierres Warnungen vor Verrat an der Revolution nur Verachtung übrig. Er setzte auf Krieg, weil er die Nation durch eine große gemeinsame Anstrengung vereinen, das Königtum bloßstellen und die Revolution vorantreiben, einer sozialen Radikalisierung im Innern aber entgegenwirken wollte. Damit traf er eine auch bei den Jakobinern weitverbreitete Stimmung. Anfang Januar 1792 ging ein Rededuell zwischen Robespierre und Brissot im Jakobinerclub eindeutig zugunsten des letzteren aus. In der Legislative, der Robespierre als ehemaliges Mitglied der Konstituante im Unterschied zu Brissot nicht angehörte, waren die Girondisten ohnehin in einer stärkeren Position als die radikaleren Jakobiner der Richtung Robespierre.
    Mitte März entließ der König die Minister aus den Reihen der kriegsfeindlichen Feuillants und ernannte eine Regierung der Girondisten, darunter der besonders kriegerisch gestimmte Außenminister Dumouriez. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war die ultimative Aufforderung an Österreich, seine militärische Präsenz in den habsburgischen Niederlanden zu vermindern. Am 20. April beschloß die Legislative auf Vorschlag des Königs die Kriegserklärung gegen Österreich. Nur sieben Abgeordnete stimmten dagegen. Da Österreich und Preußen am 7. Februar 1792 ein Verteidigungsbündnis geschlossen hatten, wußten die Parlamentarier, daß es für Frankreich nunmehr galt, aus einem Kampf mit mindestens zwei europäischen Großmächten als Sieger hervorzugehen. Tatsächlich traf am 6. Juli die Nachricht von der preußischen Kriegserklärung in Paris ein.
    Der Beginn des Ersten Koalitionskrieges fiel in eine Zeit der schweren wirtschaftlichen Krise. In den ersten drei Monaten des Jahres 1792 war es in Paris und auf dem Lande, ausgelöst durch die mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln und die allgemeine Teuerung, immer wieder zu schweren Unruhen gekommen. Als im Februar das Eigentum der Emigranten eingezogen und, wie zuvor schon der Kirchenbesitz, den Nationalgütern zugeschlagen wurde, fand das zwar verbreiteten Beifall, materiellen Nutzen konnten sich davon aber vorerst nur wohlhabende Bürger und Bauern versprechen. Die Kriegserklärung vom 20. April löste dann, wie von den Girondisten erhofft, eine Welle der Begeisterung aus. In Straßburg schrieb der Pionierhauptmann Claude-Joseph Rouget de Lisle Ende April jenes Lied für die Rheinarmee, das einige Monate später, als es im Juli 1792 von einem republikanischen Bataillon aus Marseille auf seinem Marsch nach Paris immer aufs neue angestimmt wurde, unter dem Namen «Marseillaise» bekannt und populär wurde: «Allons enfants de la patrie …»[ 11 ]
    Das Nationalgefühl, das sich in diesen Wochen Bahn brach, war von anderer Art als der herkömmliche Patriotismus. Stolz auf das eigene Land war durchaus nichts Neues und Unbekanntes; in Fürstenstaaten ging dieser Stolz oft einher mit Zuneigung für den Landesherrn und seine Familie. Als Patrioten empfanden sich alle, denen am Gemeinwohl, an der Hebung von Bildung und Wohlstand, von Kultur, Sprache und Sinn für Geschichte lag. Es waren vor allem die gebildeten Stände, die auf solche Weise ihre Vaterlandsliebe bekundeten. Diese stand nicht in Konkurrenz zur Religion, sondern verband sich mit ihr, zumal wenn der Landesherr und seine Untertanen dem gleichen Glauben anhingen. Und auch da, wo dies nicht der Fall war, durfte der Fürst darauf setzen, daß Gehorsam gegenüber der Obrigkeit als christliches Gebot galt und zu einer inneren Bindung an den Staat beitrug.
    Im Frankreich des Jahres 1792 aber wurde die Nation als solche zum Gegenstand kultischer Verehrung. Sie stand für die Menschheitsideale Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und hatte darum eine geschichtliche Sendung: die Welt von der Tyrannenherrschaft zu erlösen. An der Nation sollten alle teilhaben, nicht nur die Besitzenden und Gebildeten, sondern auch die Massen des einfachen Volkes. Deshalb durfte die Nation auch jeden «citoyen» bis hin zur Aufopferung des eigenen Lebens für sich in Anspruch nehmen. Die Nation wurde zum höchsten Gut erklärt; es durfte keine Bindungen mehr geben, die

Weitere Kostenlose Bücher