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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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der Nation diesen Rang absprachen. Die Bindung an die Nation war rein weltlicher Art und hatte gerade deshalb etwas von einer neuen, diesseitigen Religion an sich. Die Nation wollte für den nachrevolutionären Menschen sein, was zuvor, bis zum Siegeszug der Aufklärung, die Kirche gewesen war: die verbindliche Sinngebungs- und Rechtfertigungsinstanz. Das war das qualitativ Neue am modernen Nationalismus, wie er aus der Französischen Revolution hervorging.[ 12 ]
    Die erste Bewährungsprobe des französischen Nationalismus folgte seiner Entstehung auf dem Fuß. Die ersten Gefechte zwischen den Revolutionstruppen und den österreichischen Streitkräften zeigten, wie wenig das neue Frankreich auf einen Krieg vorbereitet war. Viele Offiziersstellen waren infolge der Emigration großer Teile des Adels vakant oder nur mit minder qualifizierten Bewerbern wiederbesetzt worden; dazu kam die Zerrüttung der Staatsfinanzen. Ein Versuch, nach Brüssel vorzustoßen, um anschließend die Revolution in den habsburgischen Niederlanden zu entfesseln, scheiterte kläglich. Die französischen Generäle, unter ihnen Lafayette, brachen daraufhin die Kampfhandlungen ab und schickten sich an, ihre Truppen in einen Kampf gegen die radikalen Republikaner zu führen.
    Die Freunde der Revolution sprachen nun ihrerseits von «Verrat». Als Herd der konterrevolutionären Bedrohung erschien vielen der Königshof und ganz besonders die Königin, die «Österreicherin» Marie Antoinette, die Tochter der Kaiserin Maria Theresia. Am 20. Juni 1792, dem dritten Jahrestag des Ballhausschwures, kam es auf Bestreben der radikalen «Sektionen» der Hauptstadt zu einem Sturm bewaffneter Pariser, der legendären «Sansculottes» («Leute ohne Kniehosen»), auf die Tuilerien. Ludwig XVI., der eine Woche zuvor die girondistischen Minister entlassen und durch Feuillants ersetzt hatte, reagierte ungewöhnlich geistesgegenwärtig: Er setzte sich die rote Freiheitsmütze auf und trank auf das Wohl des Volkes. Obwohl er keinerlei Versprechungen machte, wirkte die Geste beruhigend. Die Demonstranten zogen ab.
    Wenn der Sturm auf die Tuilerien den Sturz der Monarchie zum Zweck gehabt haben sollte (wofür vieles spricht), war er ein Fehlschlag. Doch es blieb nicht beim Vorstoß der Pariser Sektionen und der von ihnen geführten Sansculotten aus den Vororten der Hauptstadt. Dem Aufstandsversuch der Pariser Kleinbürger folgte die Erhebung der Föderierten, der bewaffneten Revolutionsfreunde aus dem ganzen Land. Zu ihnen gehörte auch jenes berühmte Bataillon aus Marseille, von dem bereits die Rede war. Was die Föderierten verband, war die Einsicht, daß das revolutionäre Vaterland von innen und außen auf das höchste bedroht war.
    Unter dem Eindruck der Krise fanden sich Ende Juni auch Robespierre und Brissot, die Führer der unterschiedlichen Richtungen im Jakobinerclub, zu einer gemeinsamen Aktion zusammen: Sie riefen zur nationalen Einheit auf. Am 11. Juli beschloß die Nationalversammlung auf Antrag Brissots das Dekret «Das Vaterland ist in Gefahr». Es bedeutete nichts Geringeres als die Ausrufung des Ausnahmezustands unter Ausschaltung der Exekutive, also des Königs. Die Legislative übernahm damit selbst die vollziehende Gewalt: ein revolutionärer Akt, durch den die Nationalversammlung eine Revolution in der Revolution oder eine zweite Revolution einleitete. Die Verfassung vom 3. September 1791 stand fortan nur noch auf dem Papier.
    Für den radikalen Flügel der Jakobiner mit Robespierre an der Spitze war spätestens von jetzt ab die Stoßrichtung klar: Sturz der Monarchie und Ausrufung der Republik, Auflösung der Nationalversammlung und Wahl einer revolutionären Volksvertretung auf der Grundlage des allgemeinen gleichen Wahlrechts, Ersetzung der Verfassung vom 3. September 1791 durch eine neue, revolutionäre Verfassung. Wenn es noch eines Anstoßes von außen bedurft hätte, um der Strategie der Radikalen zum Sieg zu verhelfen, lieferte ihn am 25. Juli das von einem Emigranten verfaßte Manifest des Oberbefehlshabers der Verbündeten, des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg. Es stellte die Koalitionsarmeen als Schutzgarde des Königs und der königlichen Familie dar und kündigte für den Fall, daß das Schloß der Tuilerien gestürmt oder dem König und seinen Angehörigen auch nur die mindeste Beleidigung zugefügt werde, «eine beispiellose und für alle Zeiten denkwürdige Rache» an. Ausdrücklich angekündigt wurden die

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