Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Weltherrschaft: «Umschaffung des Menschengeschlechts … aus irdischen und sinnlichen Geschöpfen zu reinen und edlen Geistern.»[ 33 ]
Der Philosoph begründete die Sendung der Deutschen damit, daß sie das «Urvolk» seien, das, anders als die romanisierten Völker im Westen und Süden Europas, sich und seine Sprache, die «Ursprache», gegenüber der Weltherrschaft der Römer behauptet habe. Dieses stelle die «letzte große, und in gewissem Sinne vollendete Welttat des deutschen Volkes» dar. Die Vorfahren, die «im heiligen Kampfe für Religions- und Glaubensfreiheit» gefallen waren, ließ Fichte den gegenwärtig lebenden Deutschen zurufen: «Damit diesem Geiste die Freiheit werde, sich zu entwickeln und zu einem selbständigen Dasein emporzuwachsen, dafür floß unser Blut. An euch ist’s, diesem Opfer seine Bedeutung und seine Rechtfertigung zu geben, indem ihr diesen Geist einsetzt in die ihm bestimmte Weltherrschaft.»[ 34 ]
Die Erinnerung an die Glaubenskämpfe hatte einen aktuellen Hintergrund. Fichte sah in der Reformation die Analogie zur Gegenwart und in Luther sein persönliches Vorbild. Wie Luther gegen die geistliche Universalherrschaft der römischen Kirche gekämpft hatte, so kämpfte Fichte gegen die beginnende Universalmonarchie Napoleons. Vom christlichen Glauben zur Vaterlandsliebe, von der kirchlichen Gemeinschaft zur Nation war es nur ein kleiner Schritt. So wie Gott das Opfer des Lebens verlangen konnte, so auch die Nation. Es war nicht wie 1761 in Thomas Abbts Schrift «Vom Tode für das Vaterland» die preußische, sondern die deutsche Nation, die das höchste Opfer fordern durfte. Fichte berief sich auf Gott, aber es war ein ganz diesseitiger Gott, den er für die deutsche Nation in Anspruch nahm: ein Gott, dem «höchsten Wesen» der Jakobiner nicht unähnlich.
Fichte hatte sich immer wieder, auch in den «Reden», zu seinen republikanischen Idealen bekannt. Er hörte nicht auf, am Ziel einer deutschen Republik festzuhalten, als er 1813, dem Jahr vor seinem Tod, sich Gedanken darüber machte, wer die Rolle eines «Zwingherrn zur Deutschheit» übernehmen könne, und dabei an den König von Preußen dachte. (Den unmittelbaren Anstoß zu Fichtes «Entwurf zu einer politischen Schrift im Frühlinge 1813» bildete der «Aufruf an Mein Volk», in dem Friedrich Wilhelm am 17. März 1813 den Entscheidungskampf gegen Napoleon verkündet hatte.) «Erziehung zur Freiheit ist die erste Pflicht des Zwingherrn, Vererbung der Gewalt geht gar nicht. Bei solchen Ansichten nun, wie kann es von dem jetzigen Punkte aus zur Freiheit kommen? Wollte irgendein Fürst, so will der Adel sicher nicht. (Zu verschmelzen, unterzugehen in die Deutschheit, dazu sind sie zu beschränkt.) Also her einen Zwingherrn zur Deutschheit. Wer es sei: Mache sich unser König dieses Verdienst. Nach seinem Tode einen Senat; da kann es sogleich im Gange sein.»[ 35 ]
Ob Friedrich Wilhelm III. fähig und willens war, die Aufgabe des Zwingherrn zu übernehmen: Fichte war sich, wie seine Notizen zeigen, in dieser Hinsicht nicht sicher. «Kein bestehender Landesherr kann Deutsche machen; es werden Österreicher, Preußen usw. Ein neuer müßte entstehen? Etwa wie Bonaparte?» (Die letzte Frage war so ketzerisch, daß Fichte sie dann doch verneinte.)[ 36 ] Dafür, daß der König von Preußen, der jetzige oder ein künftiger, die Deutschen zur Einheit führen werde, sprach vor allem ein Vergleich mit Österreich. Ein deutscher Kaiser, der ein Hausinteresse habe, werde die deutsche Kraft für seine persönlichen Zwecke gebrauchen. Österreich habe ein solches Hausinteresse, Preußen nicht. «Es ist ein eigentlich deutscher Staat; hat als Kaiser durchaus kein Interesse zu unterjochen, ungerecht zu sein, vorausgesetzt, daß ihm bei künftigem Frieden seine angestammten, zugleich durch Protestantismus verbundenen Provinzen zurückerstattet werden. Der Geist seiner bisherigen Geschichte zwingt es aber, fortzuschreiten in seinen Schritten zum Reiche; nur so kann es fortexistieren. Sonst geht es zugrunde.»[ 37 ]
Preußen war nicht nur eine protestantische Macht, es war die Vormacht des deutschen Protestantismus. Wäre es anders gewesen, hätte Fichte dem König von Preußen die Rolle des «Zwingherrn zur Deutschheit» nicht zudenken können. «Derjenige soll Zwingherr sein, der auf der Spitze seiner Zeit und seines Volkes steht», heißt es in den «Exkursen zur Staatslehre» aus dem Jahre 1813. Deutschland war dazu bestimmt, ein
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