Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Abschaffung der junkerlichen Privilegien, sondern zu einer Stärkung des Rittergutsbesitzes. Die Landabtretungen, mit denen die Bauern ihre Hand- und Spanndienste für den Gutsherrn ablösen konnten, hatten eine Ausdehnung des Großgrundbesitzes auf Kosten von früherem Bauernland zur Folge. Durch hartnäckigen Widerstand erreichten es die Junker, daß einige ihre wichtigsten Privilegien erhalten blieben: die patrimoniale Gerichtsbarkeit bis zur Revolution von 1848, die Grundsteuerfreiheit bis 1861, die gutsherrliche Polizeigewalt bis 1872, die patriarchalische Gesindeordnung bis zur Revolution von 1918/19, der Gutsbezirk als Verwaltungseinheit bis 1927. Nicht aufhalten ließen sich der Siegeszug des Agrarkapitalismus und die soziale Öffnung des Rittergutsbesitzes: Im Zuge des freien Güterverkehrs konnten fortan auch vermögende Bürgerliche Güter erwerben. Aber auch das trug letztlich nicht zur Schwächung, sondern zur Festigung des ostelbischen Rittergutsbesitzes bei.
    Die Bauern wurden durch das Oktoberedikt zwar im juristischen Sinne frei. Aber erstens blieben die Kleinbauern, die sich die Befreiung von den Hand- und Spanndiensten durch Landabtretung oder Geld erkauft hatten, Angehörige des Gutsverbandes, und zweitens mußten die ärmsten unter ihnen, die Kossäten, die kein eigenes Fuhrwerk besaßen, also nicht spannfähig waren, dem Gutsherrn weiterhin Dienste und Abgaben leisten. Aus den Landarbeitern und landarmen Bauern rekrutierte sich in Preußen nicht, wie in Frankreich, ein selbständiges Parzellenbauerntum, sondern, zu einem erheblichen Teil jedenfalls, die von Marx sogenannte «industrielle Reservearmee»: ein großes Reservoir von Arbeitskräften, ohne das es die Industrielle Revolution in Deutschland schwerlich gegeben hätte. Die «Bauernbefreiung» hatte also ein paradoxes Ergebnis. Auf der einen Seite führte sie zu einer Modernisierung der Gesellschaft, freilich einer anderen als der, die die Reformer von 1807 erstrebt hatten. Auf der anderen Seite trug das Edikt vom 9. Oktober 1807 zusammen mit dem Regulierungsedikt vom 14. September 1811 zur Konservierung einer vormodernen Machtelite bei, deren Privilegien die Reformer hatten beseitigen wollen: des preußischen Junkertums.
    Der «Bauernbefreiung» folgten in kurzem Abstand weitere einschneidende Reformen: 1808 die Städteordnung, die die Selbstverwaltung der Kommunen einführte und Bürgern mit einem gewissen Maß an Besitz und Bildung das Recht verlieh, daran mitzuwirken, 1811 die Gewerbefreiheit, die die alten Zunftordnungen abschaffte, 1812 die Judenemanzipation, die den Juden zwar nicht den Zugang zu zivilen und militärischen Staatsämtern, wohl aber die grundsätzliche bürgerliche Gleichstellung brachte, im Kriegsjahr 1814 dann als Abschluß einer radikalen personellen, mentalen und organisatorischen Erneuerung des preußischen Heerwesens die allgemeine Wehrpflicht.
    Die Regierung wurde in die fünf klassischen Ressorts äußeres, Inneres, Finanzen, Justiz und Krieg gegliedert und das Bildungswesen umfassend reformiert. Selbstentfaltung statt Drill: Nach diesem Motto erneuerte Wilhelm von Humboldt, geboren 1767 in Potsdam, als Leiter der Abteilung für Kultus und Unterricht im preußischen Innenministerium das Bildungswesen von den Volksschulen bis zu den Hochschulen. In Gymnasien und Universitäten hielt der Geist des Neuhumanismus Einzug; das Erlernen der alten Sprachen und die Beschäftigung mit der Antike rückten in den Mittelpunkt aller höheren Bildung, der Paukunterricht und das Paukstudium sollten der Vergangenheit angehören. Der Höhepunkt der Wirksamkeit Humboldts war die Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810. Dank des freien Geistes, der in ihr waltete, und der Berufung hervorragender Gelehrter galt die neue Hochschule schon nach wenigen Jahren als die erste unter den deutschen Universitäten.
    Nicht erreicht wurde das Ziel, Preußen eine Nationalrepräsentation zu geben. Dabei dachten die Reformer nicht an eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung, sondern an ein Beratungsorgan, in dem indirekt gewählte Vertrauensmänner der gebildeten und besitzenden Stände zu Wort kommen sollten. Doch auch wenn das politische Gewicht eines solchen Organs wohl nur gering gewesen wäre, stieß das Vorhaben doch auf massiven Widerstand – zuerst einer konservativen Adelsfronde unter Friedrich August Ludwig von der Marwitz, dann auch von aufgeklärten Beamten. Aus zwei Versuchen mit Notabelnversammlungen

Weitere Kostenlose Bücher