Geschichte des Westens
47 Sozialrevolutionäre statt, denen konterrevolutionäre Aktivitäten, vor allem im Zusammenhang mit den Bauernaufständen, vorgeworfen wurden. Das Verfahren endete mit 14 Todesurteilen, die aber auf Grund weltweiter Proteste der nichtkommunistischen Linken nicht vollstreckt, sondern durch die Einweisung in ein Arbeitslager auf der Eismeer-Insel Solowki ersetzt wurden. Der Einparteienstaat, der Sowjetrußland seit 1921 war, fühlte sich inzwischen stark genug, um sich ein solches Entgegenkommen leisten zu können.
Die KPR gab auch in den Sowjets den Ton an, die in den ersten beiden Jahren nach der Oktoberrevolution nur wenig Einfluß gehabt hatten, seit dem 7. Allrussischen Sowjetkongreß im Dezember 1919 aber erweiterte Rechte erhielten. Ihr neugebildetes Exekutivkomitee drängte den Einfluß der Außerordentlichen Kommissionen, darunter der gegen Konterrevolution und Sabotage, allmählich zurück und schuf das neue Organ der Arbeiter- und Bauerninspektion, das an die Stelle des Volkskommissariats für Staatskontrolle treten sollte. Da die Bauern in den Sowjets stärker vertreten waren als in der KPR, eigneten sich die Sowjets als Instrument zur Durchsetzung der NEP, deren Kernstück eine neue, bauernfreundliche Agrarpolitik war. Als Erfolg konnten die Sowjets die Abschaffung der Todesstrafe im Januar 1920 betrachten. Doch schon im Mai 1922 wurde sie, rechtzeitig zum Prozeß gegen die Sozialrevolutionäre, wieder eingeführt: Der Sowjetstaat wollte auch in Zukunft die schärfste Sanktion gegen politische und andere Straftäter verhängen können.
Umstritten war über mehrere Jahre hinweg die Rolle der Gewerkschaften. Die «Arbeiteropposition» erstrebte eine unabhängige Interessenvertretung des Proletariats, während Trotzki und Bucharin die Gewerkschaften den Staatsorganen unterordnen wollten. Auf dem 9. Parteitag der KPR, der Ende März und Anfang April 1920 stattfand,gewann eine von Wjatscheslaw Molotow vertretene vermittelnde Linie an Unterstützung: Die Gewerkschaften sollten eine selbständige Organisation bleiben und einen «Transmissionsriemen» zwischen Arbeiterschaft und Partei bilden, das heißt der KPR die Wünsche der Arbeiter und diesen die Weisungen der Partei nahebringen. In der Praxis lief dieses Konzept auf eine dienende Funktion der Gewerkschaften hinaus: Sie hatten die proletarischen Massen für den Kommunismus zu schulen und auf eine höhere Arbeitsproduktivität hinzuwirken. Ende 1920 schwenkte Lenin, der zunächst der Position Trotzkis zugeneigt war, auf die Linie Molotows ein. Damit hörte die Gewerkschaftsfrage auf, eine Streitfrage zu sein. Im März 1921 legte der 10. Parteitag der KPR die neue Rolle der Gewerkschaften fest – im Sinne der Theorie vom Transmissionsriemen.
In der Logik der NEP lag auch eine elastischere, den Vorrang der Zentralgewalt aber nicht antastende Nationalitätenpolitik. Die Verfassung der RSFSR vom Juli 1918 hatte noch nichts über die wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Sowjetrepubliken, der russischen, der weißrussischen und der ukrainischen, gesagt. Nachdem die Bolschewiki 1920/21 erst Aserbaidschan und Armenien, dann auch Georgien unter ihre Kontrolle gebracht und 1922 in der Transkaukasischen Föderation zusammengeschlossen hatten, war der Weg frei für die Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR), kurz Sowjetunion genannt. Die Konstituierung erfolgte in Gestalt eines Staatsvertrages der Ukrainischen, der Weißrussischen und der Transkaukasischen Sowjetrepublik mit der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, der am 30. Dezember 1922 vom 1. Allunions-Sowjetkongreß gebilligt wurde (der seinerseits nichts anderes war als der erweiterte und umbenannte 7. Allrussische Sowjetkongreß).
Souverän waren um diese Zeit noch die beiden zentralasiatischen, muslimisch geprägten Sowjetrepubliken Chorezm (Chiwa) und Buchara. 1924/25 wurden sie im Zuge der sogenannten «nationalen Abgrenzung» mit den Generalgouvernements Steppe und Turkestan zusammengeschlossen und in die Unionsrepubliken Usbekistan und Turkmenistan umgewandelt. Der tadschikische Teil des ehemaligen Generalgouvernements Turkestan erhielt 1924 den Status einer Autonomen Republik. Fünf Jahre später wurde Tadschikistan eine eigene Unionsrepublik.
In der ersten Hälfte des Jahres 1923 wurde die Verfassung der UdSSR ausgearbeitet; im Juli wurde sie vom Zentralen Exekutivkomitee gebilligt und Ende Januar 1924 vom 2. Allunions-Sowjetkongreß
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