Geschichte des Westens
«Vaterländischen Verbände», wählen.Vier Tage später setzte Kahr den Vollzug des Republikschutzgesetzes außer Kraft. Um die Nationalsozialisten an sich zu binden, ließ Kahr seit Mitte Oktober Ostjuden in großer Zahl aus Bayern ausweisen. Als Reichswehrminister Geßler am 20. Oktober die überzählige Amtsenthebung des Münchner Wehrkreisbefehlshabers von Lossow anordnete, holte Kahr zu seinem bisher massivsten Schlag gegen das Reich aus: Er ernannte Lossow zum bayerischen Landeskommandanten und nahm die in Bayern stationierte 7. Reichswehrdivision in die Pflicht des Freistaates.
Eine Trennung Bayerns vom Reich wollten weder Kahr noch Lossow noch ihr Verbündeter, der Landeskommandant der bayerischen Polizei, Oberst von Seißer. Das Münchner Triumvirat erstrebte vielmehr eine Umgestaltung des Reiches nach dem Vorbild der «Ordnungszelle» Bayern. Ein «Marsch auf Berlin», nach dem Muster von Mussolinis «Marsch auf Rom», sollte den Abschluß der Errichtung einer «nationalen Diktatur» bilden. Die Nationalsozialisten durften daran mitwirken, die Rolle des «Duce» aber war nicht Hitler, sondern Kahr und später, auf Reichsebene, einem Mann vergleichbarer Gesinnung vorbehalten – etwa dem General von Seeckt, von dem aber niemand wußte, ob er, der als Legalist galt, im Ernstfall gegen den erklärten Willen des Reichspräsidenten losschlagen würde.
Die Kommunisten konzentrierten ihre Aktivitäten auf Mitteldeutschland. Am 10. Oktober traten drei Kommunisten, unter ihnen der Parteivorsitzende Heinrich Brandler als Chef der Staatskanzlei, den Weisungen entsprechend, in die von dem linken Sozialdemokraten Erich Zeigner geführte sächsische Regierung ein. Am 16. Oktober wurde auch in Thüringen unter dem Sozialdemokraten August Frölich eine Koalitionsregierung aus SPD und KPD gebildet. Die Bildung der linken «Einheitsfrontregierungen» in Dresden und Weimar war verfassungskonform, und beide stützten sich auf parlamentarische Mehrheiten. Die Kabinette Zeigner und Frölich unternahmen auch keine Schritte, die man reichsfeindlich hätte nennen können. Dennoch gab es in Berlin, und zwar auch bei den regierenden Sozialdemokraten, keinen Zweifel an der Absicht der Kommunisten, von Sachsen und Thüringen aus den Kampf um die Macht in Deutschland aufzunehmen. Am 13. Oktober verbot infolgedessen der sächsische Wehrkreisbefehlshaber und Inhaber der vollziehenden Gewalt, General Alfred Müller, die paramilitärischen Proletarischen Hundertschaften der KPD. DreiTage später unterstellte er, in Absprache mit Reichswehrminister Geßler, die sächsische Polizei der Befehlsgewalt der Reichswehr. Die Dresdener Regierung war damit ihres einzigen Machtinstruments beraubt.
Am 21. Oktober scheiterte der Versuch einer kommunistischen Revolution, bevor er ernsthaft begonnen hatte. Auf einer von der KPD einberufenen Arbeiterkonferenz in Chemnitz verweigerten sich die Sozialdemokraten dem von den Kommunisten propagierten Generalstreik, der das Signal für den proletarischen Aufstand geben sollte. Damit war der Zeitplan für den «deutschen Oktober» durchkreuzt: Der Versuch, in Deutschland zu wiederholen, was die Bolschewiki im November 1918 vorgemacht hatten, konnte nicht stattfinden. Nur in Hamburg kam es zu einer putschartigen Erhebung der Kommunisten. Nach dreitägigen blutigen Kämpfen war die Polizei am 25. Oktober auch in der Hansestadt wieder Herr der Lage.
Zur gleichen Zeit unterwarf die Reichswehr ganz Sachsen ihrer Kontrolle, wobei es in mehreren Städten zu blutigen Zusammenstößen kam. Ein Ultimatum von Reichskanzler Stresemann vom 27. Oktober, eine Regierung ohne Kommunisten zu bilden, wies Ministerpräsident Zeigner tags darauf zurück, woraufhin Stresemann, ohne vorher nochmals das Kabinett einzuberufen, eine formelle Reichsexekution und die Ernennung eines zivilen Reichskommissars, des Reichstagsabgeordneten Karl Rudolf Heinze von der DVP, für Sachsen verfügte. Am 30. Oktober erzwang Heinze den Rücktritt Zeigners. Auf Drängen des sozialdemokratischen Parteivorstands bildete ein gemäßigter Politiker, der frühere Wirtschaftsminister Alfred Fellisch, eine sozialdemokratische Minderheitsregierung, die von der DDP toleriert wurde. Am 31. Oktober, unmittelbar nach der Bestätigung des Kabinetts durch den Landtag, beendete der Reichspräsident auf Ersuchen des Reichskanzlers Heinzes Mandat als Reichskommissar.
Stresemanns Ultimatum vom 27. Oktober hatte die SPD grundsätzlich zugestimmt, im
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