Geschichte des Westens
nachhinein aber erhob sie, unter Hinweis darauf, daß das Kabinett keine Gelegenheit gehabt habe, über Zeigners ablehnende Antwort zu beraten, schwere Bedenken. Unter dem massiven Druck ihres linken Flügels und gegen eindringliche Warnungen des preußischen Innenministers Severing beschloß die sozialdemokratische Reichstagsfraktion am 31. Oktober ein Ultimatum, in dem die Regierung Stresemann aufgefordert wurde, den militärischen Ausnahmezustand aufzuheben, das Verhalten der bayerischen Machthaber fürverfassungswidrig zu erklären und sofort die notwendigen Schritte gegen den Freistaat einzuleiten. Die bürgerlichen Mitglieder des Kabinetts Stresemann, von der politischen und militärischen Unmöglichkeit eines Bürgerkriegs um Bayern überzeugt, lehnten die Forderungen der SPD erwartungsgemäß ab, was die sozialdemokratischen Minister am 2. November mit dem Austritt aus der Reichsregierung beantworteten. Vier Tage nach dem Ende der Großen Koalition rückte die Reichswehr mit Einwilligung Eberts in Thüringen ein und erzwang dort die Auflösung der Proletarischen Hundertschaften. Am 12. November zog die KPD, von der SPD gedrängt, ihre Minister aus der Weimarer Koalitionsregierung zurück. Bis zu vorgezogenen Neuwahlen im Februar 1924 blieb Frölich noch als Chef eines sozialdemokratischen Minderheitskabinetts im Amt.
Am Abend des 8. November eskalierte die bayerische Krise. Adolf Hitler nutzte eine Versammlung von Anhängern Kahrs im Bürgerbräukeller, um die «Nationale Revolution» auszurufen. Mit vorgehaltener Pistole preßte der Führer der Nationalsozialisten Kahr, Lossow und Seißer das Versprechen ab, sich an der Aktion zu beteiligen. Hitlers Mitverschwörer, Erich Ludendorff, der ehemalige «starke Mann» des deutschen Militärs im Ersten Weltkrieg und von Hitler soeben zum Oberbefehlshaber der «Nationalarmee» ernannt, gab jedoch wenig später dem Triumvirat die Handlungsfreiheit zurück, so daß die bayerischen Machthaber zum Gegenschlag ausholen konnten. Am Mittag des 9. November 1923 endete Hitlers Putsch unter den Kugeln der bayerischen Landespolizei an der Münchner Feldherrnhalle. Hitler selbst konnte fliehen, wurde aber zwei Tage später festgenommen. Sechzehn seiner Gefolgsleute bezahlten die «Nationale Revolution» mit ihrem Leben.
In Berlin führten die Münchner Ereignisse zu einer dramatischen Wendung. Noch in der Nacht zum 9. November übertrug Reichspräsident Ebert dem Chef der Heeresleitung, General von Seeckt, den Oberbefehl über die Wehrmacht des Reiches und, in Abänderung der Verordnung vom 26. September 1923, die Ausübung der vollziehenden Gewalt. Offenbar gingen Ebert und Stresemann davon aus, daß die Machtübertragung an Seeckt der einzige Weg war, die bayerische Reichswehr in eine Frontstellung gegen die Putschisten zu bringen. Eine Garantie, daß der General nicht selbst putschen würde, gab es freilich nicht. Ebert nahm aber wohl an, daß Seeckt, wenn er ihm, dem Staatsoberhaupt,direkt unterstellt war, der Republik nicht so gefährlich sein würde wie in seiner bisherigen, kaum zu kontrollierenden Position.
Der Hitler-Putsch bedeutete eine Zäsur nicht nur für Bayern, sondern für das Reich insgesamt. Die «seriösen» Diktaturpläne Kahrs und seiner Verbündeten waren durch das Geschehen vom 8. November nachhaltig diskreditiert, die Autorität des Generalstaatskommissars Kahr war schwer erschüttert. Ohne festen Rückhalt beim bayerischen Triumvirat aber war eine «nationale Diktatur» in Deutschland kaum vorstellbar. Mit seinem Putsch bewirkte Hitler also das Gegenteil dessen, was er bezweckt hatte: Der Führer der Nationalsozialisten trug wesentlich dazu bei, die aufs höchste gefährdete Republik zu festigen.
Eine Woche nach dem Münchner Putsch, am 15. November, gelang dem bürgerlichen Rumpfkabinett Stresemann das «Wunder der Rentenmark». Die neue Währung, die an diesem Tag eingeführt wurde, war als Provisorium gedacht. Bis zur Einführung der endgültigen, durch Gold gedeckten Währung sollten nach dem Vorschlag von Finanzminister Hans Luther, der am 6. Oktober die Nachfolge Rudolf Hilferdings angetreten hatte, Grundschulden und Schuldverschreibungen zu Lasten von Industrie und Landwirtschaft den Kaufwert der «Rentenmark» garantieren. Am 20. November konnte der Kurs der Mark, der am 14. November bei 1,26 Billionen für einen Dollar gelegen hatte, bei 4,2 Billionen stabilisiert werden. Die Reichsbank setzte daraufhin ein analoges
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